Der Weltweit-Schnitzer von Oberammergau

von Redaktion

Er ist schon ein Mann der Extreme. Für Jeff Koons, den teuersten lebenden Künstler, schuf Josef Fux gigantische Skulpturen. Und dann wieder schnitzte der Oberammergauer in winzige Nussschalen ganze Krippenszenen hinein. Er ist extrem scheu – aber wir durften ihn besuchen.

VON EVA STÖCKERL

Es hat etlicher Anläufe über Jahre hinweg bedurft, bis sich Josef Fux, 80, zu einem Bericht in der Heimatzeitung überreden ließ. Er ist halt kein Mann vieler Worte. Dabei hat ihn sein Schaffen in Welten geführt, von denen er sich als junger Holzschnitzer nie hätte träumen lassen. War es Fügung oder Glück, dass sich der damals schon berühmte amerikanische Konzeptkünstler Jeff Koons in den 1990er-Jahren in seine Werkstatt verirrt und ausgerechnet ihn, Josef Fux, für die Umsetzung seiner Ideen haben will?

Beim ersten Besuch hat ihn der Bildhauer noch zu einem Kollegen geschickt. Koons kam zurück und es entwickelte sich eine fünfjährige Zusammenarbeit. Heute gilt Koons mit seinen unverkennbaren Pop-Art-Werken als bekanntester Zeitgenosse der Szene. 2013 erzielte seine drei Meter große Pudel-Skulptur astronomische 58 Millionen Dollar. Gerade schaffte er einen neuen Rekord: Ein Edelstahl-Hase ist mit über 91 Millionen Dollar das teuerste Werk eines lebenden Künstlers, das je versteigert wurde.

Das Oberammergau Museum widmete dem Schnitz-Künstler Fux im Passionsjahr 2010 eine Retrospektive. Die Ausstellung machte seine ganze Bandbreite deutlich, wie er sich in alle Epochen und Stile einfühlte und welch Meister er war in seinem Metier. Dabei galt seine große Liebe der Renaissance. Er wollte das Spiel der Muskeln zeigen, wie die Adern über den Handrücken mäandern und wie sich ein Finger krümmt.

„Die Anatomie hat mich ein Leben begleitet“, sagt er. Jedes Detail war ihm wichtig. Wir sprechen von der Vergangenheit, weil Fux seit dem Tod seiner Frau Brigitte im Jahr 2007 nicht mehr schnitzt. Er, der sich vor großen Worten scheut, sagt: „Ich bin vor einem Holzscheitel gesessen und konnte nicht mehr.“ Zum Zeitvertreib malt er. Verkaufen will er die Bilder nicht. Die ganze Werkstatt ist voll davon.

Fux hat noch die Zeiten erlebt, als in den Oberammergauer Werkstätten 250 Handwerker ihr Brot verdienten. Die Nachfrage nach Krippen und Heiligen hat selbst im weltberühmten Holzschnitzerdorf nachgelassen. Wer hängt sich heute noch den Gekreuzigten ins Haus? Das schaute in den 1950er-Jahren, als Fux an der örtlichen Fachschule für Holzbildhauer die Ausbildung zum Gesellen durchlief, noch anders aus. Dass sich der damalige Schnitzschuldirektor Hans Schwaighofer des talentierten Burschen annahm, der im Krieg seinen Vater verloren hatte, zählt Fux „zum Besten, was mir passieren konnte“.

Im weißen Mantel, „wie ein Doktorschüler“, absolvierte der junge Mann die harte Schule, lernte Zeichnen, Modellieren und das Messer führen. „Der Bub gehört in die Akademie“, hat Schwaighofer damals Josefs Mutter gesagt. Doch das konnte sich die Witwe nicht leisten. 1964 schaffte Fux in München die Prüfung zum Bildhauermeister.

Seine Frau Brigitte stammte aus Augsburg. Dort hat er in den 1960er-Jahren eine Werkstatt aufgemacht. Der Laden stand direkt neben dem Dom. Der Akt, den er im Schaufenster neben dem Gotteshaus präsentierte, missfiel dem Bischof. Aber seinem Schöpfer brachte er Arbeit. Weil der Bildhauer auf Bitten des geistlichen Würdenträgers die „Nackerte“ aus dem Fenster nahm, trafen bald die ersten Aufträge der Kirche ein.

In Augsburg vollbrachte er auch ein Mammutwerk. Fux gewann den Wettbewerb für die Wiederherstellung des Goldenen Saales im ausgebombten Rathaus. Er musste die Figuren und Larven nach historischen Fotos originalgetreu rekonstruieren. Drei Jahre hat ihn diese Aufgabe im drei Stockwerke hohen Saal beschäftigt.

In Augsburg hielt es ihn nicht lang. Fux ist in Aichach geboren, aber seit 1944 in Oberammergau daheim. Dorthin zog es ihn bald zurück und er konnte in seiner Werkstatt, in der er zu besten Zeiten bis zu fünf Gesellen beschäftigte, nach Herzenslust schnitzen. „Die Objekte fliegen ja nicht aus dem Holz raus“, sagt er, „es ist nicht gerade eine Geburt, aber immer spannend, was rauskommt.“ Sein Ruf drang über deutsche Grenzen hinaus. So entwarf er für Amerikaner ein Bierkrugtelefon. Die weltgrößte Brauerei Asahi bestellte für ihre Bierhallen als Maskottchen einen Bierkönig und riesige Wandmedaillons, wodurch er zweimal nach Japan kam.

Natürlich interessiert jeden Kunstfreund, wie die Zusammenarbeit mit Jeff Koons so war. Koons arbeitet für die Ausführung seiner Ideen immer mit den besten Kunsthandwerkern zusammen. Inzwischen haben sich Fux’ Söhne Michael und Alexander dazugesellt und steuern so manche Anekdote bei. Von 1990 bis 1995 konnten sie dem Vater mit ihrem Schulenglisch als Dolmetscher wertvolle Dienste leisten. Denn Koons – damals in Amerika als neuer Andy Warhol gefeiert – war nicht nur ein berühmter, sondern auch ein anspruchsvoller Kunde. Wie sich der in New York permanent unter Vollstrom stehende Erfinder skurriler Objekte und der urbayerische Holzschnitzer zusammenfanden, wie traditionelles Kunsthandwerk mit erfolgreicher Pop-Art verschmolz, dürfte beispiellos sein.

Koons, der sich gerne in Linderhof und Neuschwanstein inspirieren ließ, hat seine Vorstellungen grob skizziert, so schildert Fux den Schaffensprozess. Er habe dann so lange gezeichnet, bis der Entwurf zum Modell gedieh. Via Fax verfolgte Koons akribisch jeden Fertigungsschritt. Alle zwei Monate tauchte er in Oberammergau auf. Immer hat er die Umsetzung seiner Idee in Holz bis ins letzte Detail konzipiert. „Er ließ sich ein Dutzend Gelbtöne vorschlagen. Und für einen Teddy haben wir ihm zehn Steiffbären besorgt.“ Der Teddy steht heute in New York, als sechs Meter großes Wasserspiel.

Koons schrieb genau vor, wohin sich der Blick der Figuren wendet. Sogar die 40 Blüten in den überdimensionalen Blumensträußen aus Lindenholz sollten den Betrachter anblicken und dabei selbst so ausschauen „wie ein Popo“.

Koons ist ein Anhänger überdimensionaler Skulpturen. Wie sie sich transportieren lassen, hat ihn nicht beschäftigt. Fux schon. Um die meterhohen Putten, Spiegel, Blumenarrangements und Figuren zusammenbauen zu können, ging er ins Passionstheater und mietete sich in Südtirol in ein Atelier ein. In welchen Dimensionen Koons dachte, zeigt schon die Schlange, die ihn und seine damalige Frau in der überlebensgroßen Skulptur „Jeff and Ilona“ umschlingt – sie war 27 Meter lang.

Ilona Staller, ungarisch-italienische Politikerin und Pornodarstellerin, hat seinerzeit unter ihrem Künstlernamen Cicciolina Schlagzeilen gemacht, weil sie als Spitzenkandidatin von Italiens erster grüner Partei bei Auftritten ihre Brüste entblößte und ihre Pornoshow als „Waffe im Krieg gegen Prüderie“ einsetzte. Wenn die extravagante Blondine mit ihrem Mann in Oberammergau vorfuhr, war dies gewiss auch für die Dorfbewohner ein Ereignis.

So anregend und herausfordernd das Zusammenwirken mit Koons war – stressig war es auch. Von jedem Objekt wurden vier Exponate bestellt. „Ich hatte aber keine Fabrik.“ Als letzten Auftrag baute Fux nach dem Vorbild der Linderhofer Grotte einen Schwan für Jeff und Ilona, so wie ihn sich einst König Ludwig II. hatte fertigen lassen. Koons verschwendete keinen Gedanken daran, ob das Objekt in einen Aufzug passt. Dazu der ständige Termindruck, ob vor der Ausstellung im Museum für Moderne Kunst in New York oder für die Biennale in Venedig. „Der Kleber war noch nicht trocken, da wurde dort schon aufgebaut.“ Immer höher, immer schneller, immer mehr. Irgendwann gestand sich Fux ein: „Das bin nicht mehr ich.“

Der Ausflug in die Moderne hat ihn, der die Schnitzkunst so virtuos beherrscht und es zeitlebens mit den alten Meistern hielt, oft zum Nachdenken gebracht. „Zu meiner Zeit wurden halt Sachen verlangt, die kann man nicht mit der Motorsäge machen“, sagt er: „Aber wenn mir ein zweites Leben geschenkt würde, würde ich wahrscheinlich auch modern arbeiten.“

Artikel 1 von 11