München – Wer Fritz Schösser angemessen würdigen will, muss vielleicht an Auftritte wie diesen erinnern. Mitte Juli 2007. Der DGB-Vorsitzende darf in Würzburg auf dem Parteitag der SPD ein Grußwort halten. Seiner SPD. Seit Jahrzehnten ist er Mitglied, für sie saß er erst vier Jahre im Landtag, dann sieben im Bundestag. Noch immer ist er Genosse durch und durch.
Doch Fritz Schösser will nicht nur freundlich grüßen. „Ihr erwartet sicher nicht, dass ich eine lückenlose Lobeshymne auf die SPD singe“, beginnt er seine Rede – um dann den Parteifreunden Punkt für Punkt das Regierungshandeln der vergangenen Jahre um die Ohren zu hauen. Als er abtritt, ist die Stimmung im Saal so schlecht, dass sich der Landesvorsitzende Ludwig Stiegler später weigert, seine Parteitagsrede zu halten. Vielleicht auch, weil er denkt: Der Schösser hat recht?
Am Dienstag ist Schösser unerwartet im Alter von 71 Jahren in München gestorben. Wie kaum ein anderer stand er für die Rechte von Arbeitnehmern ein. Ein freundlicher und humorvoller Mann, der sehr kämpferisch werden konnte. Einer, der gutes Essen und einen noch besseren Rotwein liebte, aber trotzdem nie die ganz kleinen Leute aus dem Blick verlor.
Die größte Bekanntheit erlangte Schösser in den Reform-Jahren der Schröder-Zeit. 2003 bis 2005. „Es gibt einen gewissen Zeitgeist in der Politik, den man nicht so ernst nehmen muss, wenn man eine gefestigte Position und eine politische Heimat hat“, sagte er damals. Mehr als einmal lud der damalige Fraktionschef Franz Müntefering den gebürtigen Töginger zum Frühstück ein. Nicht um freundlich zu plaudern, sondern um ihn auf Linie zu bringen. Schösser, der Überzeugungstäter, blieb stur, erlangte als einer der wenigen „Agenda-Rebellen“ bundesweit Bekanntheit. Die Schlagzeilen waren ihm egal. Er war nur zutiefst davon überzeugt, dass die Reformen nicht ins SPD-Programm passten. Damit nahm er jene Debatte vorweg, die die Partei seit nun 15 Jahren umtreibt. Wo die SPD wohl stehen würde, hätte sie damals mehr auf Schösser gehört?
2004 wurde es zu viel: Am Tag nach Verabschiedung der Hartz-Gesetze verkündete Schösser, nicht mehr für den Bundestag zu kandidieren. Der Partei aber hielt er trotz aller Kritik die Stange.
„Ich habe immer Glück gehabt“, hat der zweifache Vater Schösser einmal vor Jahren über sich selbst gesagt. Lange war er immer der Jüngste gewesen. Mit 15 trat der Sohn einer Arbeiterfamilie in die Gewerkschaft ein, mit 16 übernahm er bereits Führungsaufgaben in der Jugendorganisation. In diesem Stil ging die Gewerkschaftskarriere steil weiter bis in die Politik – erst saß er im später per Volksentscheid abgeschafften bayerischen Senat, dann im Landtag, schließlich von 1998 bis 2005 im Bundestag. Durchaus symbolisch: Seine Zeit in Berlin endete, als die Zeit der Großen Koalition begann. Das war nicht mehr Schössers Welt.
Wobei: Bei den Unions-Sozialpolitikern jener Zeit, auch einem gewissen Horst Seehofer, war der Münchner durchaus geschätzt. Weil es ihm nie um Eitelkeiten, sondern immer um die Sache ging. „Der Tod von Fritz Schösser berührt alle, die ihn gekannt und seinen engagierten Einsatz für andere miterlebt haben“, erklärte Ministerpräsident Markus Söder (CSU). „Er war eine prägende Persönlichkeit, ein Mensch, der für seine Ideale kämpft, durch und durch ein glühender Demokrat.“
Den Gewerkschaftsbund in Bayern leitete Schösser noch bis 2010. Insgesamt also 20 Jahre lang. Weniger schlagzeilenträchtig, aber mindestens ebenso wichtig war seine Aufgabe bei der AOK, wo er alternierend den Aufsichtsrat anführte. Als Vertreter der Versicherten. Man kann sich vorstellen, dass Schösser auch dort wortgewaltig stritt.