Waldorfschule: Mehr als den Namen tanzen

von Redaktion

Ein Schulkonzept feiert Geburtstag: Vor hundert Jahren hat Rudolf Steiner seine Waldorfpädagogik schulfähig gemacht. Was unterscheidet den Unterricht von dem einer Regelschule? Ein Besuch in der Freien Waldorfschule Weilheim.

VON KATHRIN BRACK

Huglfing – In der Mitte des Kreises aus hellen Holzbänkchen steht ein kleiner, runder Tisch mit frischen Wiesenblumen und einer Kerze. An die Tafel hat Klassenlehrer Hans-Georg Schmitz mit Kreide bunte Bilder gemalt. Eines zeigt den Stern, mit dem die Schüler heute weiter an den Sechser-Reihen arbeiten, Multiplikation und Division mit der Zahl Sechs üben. „Guten Morgen, liebe zweite Klasse“, sagt Schmitz, und 19 Kinderstimmen antworten im Singsang: „Guten Morgen, Herr Schmitz!“

Es sieht aus, wie es in einer zweiten Klasse aussehen soll: Es gibt Bastelarbeiten, Fächer, in denen die Kinder selbst gemalte Bilder aufbewahren. An der Wand hängen die Zahlen von 1 bis 100. Und doch ist diese zweite Klasse anders. Die Mädchen und Buben werden nach den Prinzipien der Waldorfpädagogik unterrichtet.

„Es gibt Vorurteile gegen Waldorfschulen“, sagt Johanna Schumann, die Klassenlehrerin der sechsten Klasse. Sie kann sie alle aufzählen. „Da heißt es dann, die Schüler seien nicht gefordert und lernen bei uns nichts außer ihren Namen zu tanzen und schöne Bilder zu malen.“ Das Konzept, nach dem sie und ihre Kollegen die Kinder und Jugendlichen unterrichten, sei das Gegenteil von der rein leistungsorientierten Regelschule. „Bei uns lernen die Schüler fürs Leben, nicht nur für Prüfungen.“ Es gehe darum, dass sie verstehen, was sie lernen. „Sie sollen eine Verbindung zwischen dem Stoff und ihrem Lebensalltag herstellen können.“

Vor 100 Jahren wurde in Stuttgart die erste Waldorfschule gegründet. Inzwischen gibt es weltweit über 1100 Schulen, die basierend auf der Pädagogik des Publizisten und Esoterikers Rudolf Steiner unterrichten. 25 sind es im Freistaat, 8900 Schülerinnen und Schüler werden dort unterrichtet.

Die freie Waldorfschule Weilheim befindet sich noch im Aufbau. Sie hat 2014 in Huglfing den Unterricht aufgenommen, „mit acht Schülern“, sagt Schulleiter Dietmar Müller. Heute sind es knapp 130, die in den Jahrgangsstufen eins bis sechs von 15 Lehrkräften und Pädagogen unterrichtet werden. „Wir erweitern den Betrieb jährlich um eine Jahrgangsstufe“, erklärt Müller. Derzeit ist ein Neubau in Weilheim in Planung, in drei Jahren wollen sie ihren Behelfsbau in Huglfing verlassen.

An der Waldorfschule können die Schüler die mittlere Reife und das Abitur ablegen. Die Schüler schreiben allerdings keine Prüfungen und erhalten bis zur 10. Klasse anstelle von Noten persönliche Bewertungen, „ab der 11. Klasse sind Zensuren ein Zugeständnis an das Regelschulsystem“, sagt Johanna Schumann. Schließlich müssen die Schüler, die das allgemeine Abitur ablegen wollen, an das System außerhalb der Waldorfpädagogik herangeführt werden. „Das Abitur hat bei uns externen Charakter“, sagt auch Hans-Georg Schmitz. „Es ist ein Angebot.“

Die Lehrer verstehen ihre Pädagogik als Alternative, bei der es stärker als im Regelschulbetrieb auch auf handwerkliche, musische oder künstlerische Fähigkeiten ankommt. Naturverbundenheit und Spiritualität sind zentrale Elemente, ihre Lehrpläne passen die Lehrer an die Interessen der Schüler an. Dazu gehört auch die Eurythmie, eine Bewegungskunst, die Koordination schult und gleichzeitig die soziale Kompetenz verbessern soll. Auch Sprachen spielen im Konzept eine große Rolle: An Waldorfschulen lernen die Kinder ab der ersten Klasse zwei Fremdsprachen, in Huglfing Englisch und Spanisch, „das haben die Regelschulen von uns übernommen“.

Der Klassenlehrer begleitet die Kinder als feste Bezugsperson in der Regel von der ersten bis zur achten Klasse. Der Gemeinschaftsgedanke ist sehr ausgeprägt, Eltern bringen sich nicht nur bei Veranstaltungen ein. Was auch daran liegt, dass sie Genossenschaftsmitglieder der Schule sind. Waldorfschulen sind in Bayern anerkannt, finanzieren sich aber wie in Weilheim auch über Schulgeld. Die Weilheimer Schule steht in Trägerschaft einer gemeinnützigen Genossenschaft, die 2012 ins Leben gerufen wurde. Die Lehrer, die ein gleichberechtigtes Kollegium bilden, wünschen sich mehr Gleichberechtigung neben der Regelschule. „Unser Konzept mag nicht für jede Familie das richtige sein“, sagt Johanna Schumann. „Aber wir hätten es verdient, als wichtige Ergänzung gesehen zu werden.“

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