Gerolfingen – Pfarrer Walter Engeler kennt die Nöte und Sorgen von bäuerlichen Familien. Er wuchs selbst auf einem Bauernhof auf. Als er sechs war, gaben seine Eltern die Landwirtschaft auf. „Es ist eine riesige Herausforderung, Familie und Betrieb unter einen Hut zu bringen“, sagt der Seelsorger, der seit fünf Jahren als einziger Hauptamtlicher zusammen mit 19 ehrenamtlichen Mitarbeitern den Bauernotruf der evangelisch-lutherischen Kirche betreibt.
Seit 25 Jahren gibt es die landwirtschaftliche Familienberatung in Gerolfingen (Kreis Ansbach), die in ähnlicher Weise auch die katholischen Bistümer in Bayern anbieten. Etwa 5500 Menschen in 1750 Betrieben wurde seither geholfen – mit steigender Tendenz. In den vergangenen fünf Jahren habe sich die Zahl der Beratungsfälle verdreifacht, erklärt Engeler. Einerseits habe die Bereitschaft der Menschen zugenommen, sich Unterstützung zu holen, doch auch die Probleme und das Konfliktpotenzial in bäuerlichen Familien hätten stark zugenommen.
„Vor allem der finanzielle Druck ist gestiegen. Viele Landwirte haben existenzielle Sorgen“, berichtet Engeler. Die Anfragen wegen psychischer Probleme wie Burn-out, Depressionen oder Suchterkrankungen nehmen zu – sie machen inzwischen etwa 20 Prozent aus. Das Notruf-Team erarbeitet in Einzel- und Gruppengesprächen gemeinsame Lösungsmöglichkeiten, stellt den Kontakt zu Banken und Ämtern her, organisiert bei Arbeitsüberlastung Betriebshelfer oder vermittelt weitere Hilfen durch die Sucht- und Schuldnerberatung, die Sozialhilfe oder eine Familientherapie.
Häufigstes Thema seien Generationenkonflikte – Streitigkeiten zwischen Vater und Sohn, Mutter und Tochter, Schwiegervater und Schwiegertochter. Oft werde unterschätzt, dass die Hofübergabe nicht nur ein Notartermin sei, sondern ein Prozess, für den man sich Zeit nehmen sollte. Während bei der älteren Generation die Überlegung zugenommen habe, „Soll ich das noch verlangen, dass mein Sohn den Hof weiterführt?“, sei die junge Generation meist sehr gut ausgebildet und schmiede große Investitionspläne, die dann aber die ältere Generation überfordere.
Auch die zwei konträren Systeme Familie und Beruf bergen auf Bauernhöfen Konfliktstoff. „Man ist den ganzen Tag beruflich und privat zusammen und hat es nicht gelernt, das auseinanderzuhalten“, erklärt Engeler. „Dabei ist man sich oft nicht im Klaren, in welcher Rolle man sich gerade befindet – etwa Chef oder Vater.“ Häufig liege auch die Kommunikation im Argen. Viele Menschen in bäuerlichen Familien seien, zumindest wenn es um persönliche und familiäre Themen gehe, nicht sprachfähig, sagt Engeler.
Finanziert wird die Beratungsstelle von der Evangelischen Kirche und durch das Landwirtschaftsministerium, das die Beratungsstunden bezuschusst. Alle Mitarbeiter absolvieren eine zweieinhalbjährige Ausbildung, betont Engeler. „Wir nehmen nur Menschen mit landwirtschaftlichem Hintergrund. Denn es ist wichtig, dass man sich in dieses Leben einfühlen kann.“ lby