Neufahrn – Bei den Balkankriegen hat er Ende der 90er Jahre Familienmitglieder und sein Haus verloren. Deshalb nimmt Besnik Latiffe den Schaden, den sein teurer Mercedes bei dem Hagelunwetter vergangene Woche davongetragen hat, relativ gelassen: „Es gibt Schlimmeres.“ Latiffe ist einer von denen, die am Samstag das Angebot der Versicherungskammer Bayern angenommen und einen Termin bei der Sammelbesichtigung von demolierten Autos auf dem Gelände der Feuerwehr Neufahrn (Kreis Freising) ausgemacht haben. „Dellenkino“ nennen die Gutachter und Sachverständigen das, was sie da den ganzen Tag über bei rund 80 angemeldeten Fahrzeugen tun. Erwischt hat es auch den Norden des Großraums München. Zum Beispiel Lutz Pinkerneil, der mit seinem schneeweißen Wohnmobil auf dem Platz vorfährt. Das Dach und die linke Seite seines Gefährts sind übersät mit Dellen. „Der Hagel ist fast waagerecht gekommen“, berichtet er. „So etwas habe ich noch nie gesehen“, erzählt der Neufahrner. Wie man sich dabei fühlt? „Man steht da, muss zuschauen und ist hilflos.“ Ob er nun den Schaden reparieren lässt oder das Geld dafür nimmt, da ist er noch unsicher. „Das kann ja wieder passieren“, sagt er. Wie viel Geld er bekommen und was die Reparatur kosten würde, das erfährt Pinkerneil an jenem Samstagnachmittag schnell – die Summe allerdings verrät er nicht.
Die Spezialisten vom Hagelschaden Centrum und vom mb Kfz-Sachverständigenbüro sind mit weiß-blau gestreiften Spiegelschirmen angerückt, halten die über den Lack und können ganz genau sehen, wo welche Dellen zu finden sind, erklärt Marcus Kumeth. Die Kollegen Gutachter geben die Daten dann in einen PC ein und können so schnell den Schadenswert ermitteln. Wer will, kann auch gleich vor Ort einen Termin zur Reparatur ausmachen. Ob er das machen wird, weiß Radoslav Ernic aus Unterschleißheim noch nicht. Von ihm sind gleich drei Autos betroffen, darunter ein blauer 1er BMW. Der ist auf dem Parkplatz gestanden, er selbst war während des Unwetters mit einem anderen Auto unterwegs: „Ich hatte wirklich Angst um die Augen, wenn die Scheibe bricht“, erinnert sich Ernic. Hagelkörner mit einem Durchmesser von 35 Millimeter hat er dann zu Hause gefunden – und das eine Viertelstunde nach dem Unwetter. Das alles sei zwar „ärgerlich“, sagte er, aber zum Glück standen seine zwei besten Autos in der Garage. Nicht aber sein weißer Kastenwagen, mit dem sein Angestellter David Cosman zum „Dellenkino“ gefahren ist und der in der Fahrzeughalle nebenan gerade unter die Lupe genommen wird.
Dass Autobesitzer versuchen, einen früheren Hagelschaden noch einmal über die Versicherung abzurechnen, komme vor, so weiß Krams. „Aber das sind Einzelfälle, denen wir auch meistens auf die Schliche kommen. 99 Prozent unserer Kunden sind ehrlich. Und denen helfen wir gern.“ Die Abfertigung am Fließband, wie sie am Samstag in Neufahrn stattfindet, wird auch noch in dieser Woche fortgeführt – ebenso wie in Fürstenfeldbruck, Aubing, Gröbenzell und Landsberg am Lech, erklärt Christian Krams, Schaden-Vorstand der Versicherungskammer. Die Stimmung der Menschen, die mit ihren Autos vorfahren, ist erstaunlich gut. „Sie sind dankbar, dass das so schnell funktioniert“, erzählt Kumeth und weist das nächste Fahrzeug ein. Jetzt ist Latiffe dran, fährt seinen fünf Jahre alten GL 350, den es in dieser Ausstattung nur zehn Mal in Deutschland gibt und den es in Freising bei einem Besuch bei McDonalds erwischt hat, in die Fahrzeughalle. Auch er weiß noch nicht, ob er den Schaden reparieren lässt oder ob er das Geld nimmt und sein Fahrzeug dann abgibt. Zu sehen, wie sein Gefährt dem Hagel ausgeliefert war, „hat schon wehgetan“. Aber: „Das ist nur Blech. Das kann man richten. Es gibt Schlimmeres.“