Fieberbrunn – Noch wabern Wolken um den Wildsee, Windböen wühlen das Wasser auf. Der Dauerregen der vergangenen Stunden hat sich gerade erst verzogen, als der Hans den steilen Steig hinaufkraxelt. Er kommt gut voran, der Puls passt. Das ist nicht selbstverständlich, denn erst im April hat der 60-Jährige einen Herzinfarkt erlitten. „Es hat sich angefühlt, als ob mir jemand die Brust zuschnürt. Gott sei Dank ist es unten im Tal passiert, mein Hausarzt hat mich sofort ins Krankenhaus einliefern lassen.“
Johann Pletzenauer bekam einen Stent eingepflanzt, ein gitterartiges Röhrchen, das sein verstopftes Herzkranzgefäß offenhält. Dass er heute bereits wieder Fels unter den Füßen hat, erfüllt ihn mit tiefer Dankbarkeit – und schlechtes Wetter kann seine Gedanken nicht trüben: „Wenn man mal ein bisserl was mitgemacht hat im Leben, dann wird man demütig. Dann weiß man, dass es ein großes Glück ist, hier oben am Berg zu stehen. Egal ob es regnet oder stürmt“, erzählt er während einer Rast vor der gemauerten Bergkapelle am Ufer des Wildsees.
„Der Herr ist mein Hirte.“ Der Psalm ist ihm auf den Leib geschneidert, auch wenn er nicht jeden Sonntag in der ersten Kirchenbank sitzt. Aber der Glaube und seine Heimat geben dem Hirten Kraft. Sein Blick wandert über die steilen Bergwiesen rund um den Wildseeloder. Seit einem Vierteljahrhundert kümmert er sich nebenberuflich um die Berg- und Steinschafe der Fieberbrunner Bauern. Heuer haben sie 120 Tiere auf die Alm getrieben. Hans Pletzenauer ist ein bescheidener Mensch, deshalb mag er seine Sorgen nicht überhöhen. „Jeder hat sein Packerl zu tragen.“ Aber ihn selbst hat das Schicksal schon ziemlich hart angepackt. Vor dem Herzinfarkt musste er eine Krebserkrankung durchstehen. Seine Frau starb, als das jüngste der vier Kinder noch klein war. Doch für Verbitterung ist in seinem Herzen kein Platz.
Er ruht in sich selbst. Auch deshalb, weil seine Söhne und Töchter gesund sind. Aus allen vieren ist etwas geworden. „Mir war immer wichtig, dass sie ihren Weg machen, dass sie eine Arbeit finden.“ Auch wenn es die Kinder dafür mitunter in die Ferne zieht. Der Älteste zum Beispiel verdient sein Geld als Chemiker in Wien, der Jüngste schließt gerade die Schule ab. Auch seine beiden Mädels stehen mitten im Leben.
Der stolze Papa ist inzwischen in seinem Hauptberuf als Käsemeister in Rente gegangen. Jetzt hat er mehr Zeit für sein Hobby: die Schafe. Von Ende Mai bis September weiden sie auf den Bergwiesen. Dann geht’s zurück ins Tal. Auch für den Hans – mit einem unsichtbaren Schatz im Rucksack: Zufriedenheit.