Eine Heimat für Bio-Kälber

von Redaktion

Kein Enthornen, kurze Transportwege, Weidehaltung mit Heufutter: Eine Gruppe von Bio-Bauern aus dem Oberland sucht nach neuen Wegen bei der Aufzucht von Kälbern. Denn bislang wird der Rindernachwuchs teilweise unter unwürdigen Bedingungen durch ganz Europa gekarrt.

VON DOMINIK GÖTTLER

Warngau – Es war eine Dokumentation über Tiertransporte, die die Warngauer Bio-Bauern zum Handeln animierte. „Früher haben wir uns wenig Gedanken darüber gemacht, was mit unseren Kälbern passiert“, gibt Leonhard Obermüller, Bio-Bauer aus Wall im Landkreis Miesbach, zu. Doch als er die Bilder sah, wie Kälber unter unwürdigen Bedingungen über tausende von Kilometern quer durch Europa und darüber hinaus transportiert werden, dachte er sich: „Das könnte mein Kalb sein.“ Er setzte sich mit einigen Kollegen zusammen und gemeinsam beschlossen sie: „Hier wollen wir etwas ändern.“

Das Problem: Geld verdienen Bayerns Landwirte vor allem mit der Milch. Und damit eine Kuh Milch gibt, muss sie jedes Jahr ein Kalb gebären. Das bedeutet, dass sich in einem Milchviehbetrieb jedes Jahr der Bestand verdoppelt. Doch in der Regel hat der Betrieb weder den Platz noch das Futter, um all diese Tiere selbst aufzuziehen. Deshalb werden die Kälber – vor allem die männlichen – an Mast-Betriebe verkauft. Und die liegen häufig nicht in derselben Region. Hinzu kommt die noch immer geringe Nachfrage nach Bio-Rindfleisch. Das hat zur Folge, dass viele Bio-Kälber bei konventionellen Mästern im Ausland landen. „In Bayern sind die Bedingungen zwar gut. Aber weil sich die Aufzucht erst ab einer gewissen Größenordnung lohnt, werden die Tiere überallhin transportiert“, sagt Obermüller. „Die Kälber sehen oft mehr von der Welt als wir.“ Vor allem aber sehen sie den Transport-Lkw von innen. Zumindest im Landkreis Miesbach soll sich das nun ändern – mit der Initiative „Biokalb Oberland“.

Einer der Initiatoren ist Albert Stürzer. Auf seinem Bio-Hof im Warngauer Ortsteil Wall stehen 30 Milchkühe im Stall und auf der Weide. Stürzer verzichtet, wie alle seine Kollegen, die sich zu der Initiative zusammengetan haben, auf das Enthornen seiner Kälber. „Das macht es noch schwieriger, einen Abnehmer zu finden“, sagt er. „Also versuchen wir, das jetzt selbst in die Hand zu nehmen.“

Die Gruppe von rund einem Dutzend Bio-Landwirten aus Wall und Fischbachau hat sich für ihre Initiative folgende Bedingungen diktiert: Der Mastbetrieb für die Kälber muss in der Region liegen. Die Hörner dürfen wachsen, die Kälber werden auf der Weide von sogenannten Ammen-Kühen großgezogen und mit selbst produziertem Heu statt mit Silage gefüttert. Geschlachtet werden die Tiere schonend auf dem Mastbetrieb.

Das Ziel: Die Tiertransporte auf ein Minimum zu reduzieren und durchweg regionales, tierwohlgerechtes Bio-Rindfleisch zu produzieren. „Im Prinzip ist unser Modell eigentlich nur die Rückkehr zu dem, was früher normal war“, sagt Stürzer. „Dass dieser Schritt nötig ist, zeigt, wie weit wir uns in der Landwirtschaft vom Normalen entfernt haben.“

Die große Herausforderung für die Landwirte ist es nun, genügend Mäster für ihre Kälber zu finden. Zwei sind bereits mit an Bord. Einer von ihnen ist Hans Schäffler. Er hat seinen elterlichen Milchviehbetrieb vor sechs Jahren aufgegeben. „Aber die Kühe sind mir einfach abgegangen“, sagt der 44-Jährige. Im Zuge der Initiative sah er die Chance, den Betrieb im Nebenerwerb weiterzuführen. Von Albert Stürzer hat er zwei Ammenkühe übernommen, mit denen er nun Kälber nach den Kriterien der Initiative aufzieht.

Mittlerweile sind die Warngauer Bio-Bauern so weit, dass das erste Fleisch verkauft werden kann. Am Samstag, den 12. Oktober, findet auf Albert Stürzers Hof der erste Verkauf des Bio-Fleisches im Rahmen eines Hoffests statt. Zwei Färsen werden geschlachtet, das Fleisch wird in Paketen zu je 18 Euro pro Kilogramm angeboten, darin sind verschiedene Stücke vom Rind enthalten. Vorbestellungen sind auf der Internetseite www.biokalb-oberland.de möglich.

„Dann wird sich zeigen, ob unser Experiment gelingt, oder ob wir Schiffbruch erleiden“, sagt Leonhard Obermüller. Denn neben dem Bedarf an geeigneten Mästern in der Umgebung, nach denen die Landwirte weiter suchen, hängt der Erfolg vor allem vom Verbraucher ab. „Wir bieten hier Tierwohl XXL an und das kann sich vor Ort gerne jeder ansehen. Jetzt wird sich zeigen, ob der Verbraucher das auch honoriert“, sagt Obermüller.

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