München/Augsburg – Der Schaden dürfte weit in den Millionenbereich gehen: Mehrere vorwiegend osteuropäische Pflegedienste stehen im Verdacht, in Augsburg und München systematisch bei der Abrechnung von Leistungen betrogen zu haben. Jetzt ist der Staatsanwaltschaft München I ein Schlag gegen die Pflegemafia gelungen. Seit Juni 2017 hatten die Staatsanwaltschaft, die Ermittlungskommission „Eule“ der Kriminalinspektion Augsburg und die Ermittlungsgruppe „Amalie“ der Arbeitsgruppe Gesundheitswesen des Polizeipräsidiums München ermittelt.
Gestern Vormittag schlugen die Beamten zu: In Augsburg durchsuchten mehr als 500 Polizisten, 33 Staatsanwälte, rund 30 Gutachter des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) und rund 30 Zollbeamte circa 175 Objekte. Darunter waren Räume von acht Pflegediensten, die Wohnungen der 40 Hauptbeschuldigten und die Wohnungen von rund 120 Patienten. Bei Razzien in München durchleuchteten 130 Polizisten und rund zehn MDK-Pflegegutachter 38 Objekte, darunter zwei Pflegedienste, drei Arztpraxen und mehrere Patientenwohnungen. Laut der Staatsanwaltschaft München I wurden 13 Beschuldigte festgenommen und Vermögen von 3,6 Millionen Euro sichergestellt.
„Die bisherigen Ermittlungen haben Beweise für bandenmäßigen und gewerbsmäßigen Betrug bei den Abrechnungen der betroffenen Pflegedienste zulasten der Sozialhilfeträger und der gesetzlichen Krankenversicherungen gegeben“, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Pflegedienste sollen bei der Begutachtung der Patienten durch den MDK manipuliert haben. „In vielen Fällen liegen Hinweise dafür vor, dass ein Pflegebedarf zwar grundsätzlich gegeben ist, aber künstlich aufgebauscht wird“, so die Staatsanwaltschaft. So könnten mehr Leistungen abgerechnet werden.
Generell kommt bei einem Antrag auf Pflegeleistungen ein MDK-Gutachter zum Hausbesuch, um den Pflegegrad zu bestimmen. Zur Frage, wie die Täuschungen abgelaufen sind, wollte sich die MDK gestern nicht äußern. Die Ermittler vermuten, dass auch Patienten und Angehörige mitgewirkt haben. Dafür sollen sie vom Pflegedienst Sachleistungen oder Zahlungen bekommen haben.
Unabhängig von diesen Einsätzen hat es am Dienstag weitere Razzien wegen Betrugs in der Branche gegeben. Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt, weil Pflegedienste nicht-qualifizierte Personen aus Osteuropa als Intensivpflegekräfte für Beatmungspatienten eingesetzt haben sollen – bei Abrechnung des vollen Betrags.
Unstimmigkeiten bei Abrechnungen hat auch der Sozialverband VdK bereits beobachtet. „Uns sind im Münchner Raum auch schon einige dubiose Abrechnungen aufgefallen“, sagt Sprecher Mirko Besch. Pflegedienste hätten Leistungen mehrfach abgerechnet oder Geld für Leistungen verlangt, die nicht erbracht wurden. Beschs Tipp: „Bevor man etwas bezahlt, ist es wichtig nachzukontrollieren, ob alles stimmt.“
Besonders groß ist der Ärger über die Vorfälle bei den Pflegediensten, die richtig wirtschaften. „Grundsätzlich verurteilen wir Abrechnungsbetrug aufs Schärfste“, sagt Sabine Karg vom Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK). „Betreiber ambulanter Pflegedienste leiden massiv darunter, dass ihre Branche in Verruf gerät.“ Das konsequente Vorgehen gegen kriminelle Pflegedienste sei zu begrüßen. Ähnlich äußerte sich die Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassenverbände in Bayern. Nur so könne „das Vertrauen in die Pflegebranche gestärkt werden“.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz fordert außerdem weitere Maßnahmen gegen Betrug: „Der Gesetzgeber muss endlich wirksame Instrumente schaffen, um den Sumpf trocken zu legen“, sagt der Vorsitzende Eugen Brysch. Beispielsweise müsse es eine einheitliche Patientennummer für die Kranken- und Pflegeversicherung geben sowie einen Schutz für anonyme Hinweisgeber.
Pflegebedürftige,
die wegen der Razzien keine Pflegekraft mehr haben, bekommen unter 0800/7721111 Hilfe vom MDK.