Fürstenfeldbruck – Tierarzt Martin Steber steht hinter dem kleinen Kuhmodell und wirft einen prüfenden Blick ins Klassenzimmer. „Wie viele Mägen hat eine Kuh?“, fragt er die Schüler der Landwirtschaftsschule Fürstenfeldbruck. Eine Frage zum Warmwerden für die 17 Teilnehmer des dritten Semesters, die auf dem Weg zu ihrem Meisterbrief sind. Pansen, Netzmagen, Blättermagen, Labmagen. Steber nickt zufrieden. Viele der Schüler kommen selbst aus einem Milchviehbetrieb, da gehört die Anatomie der Kuh längst zum Grundwissen. Heute steht die Tiergesundheit auf dem Stundenplan. Wie erkennt man eine kranke Kuh im Stall? Eine Frage, die angesichts der Skandalfälle im Allgäu nicht aktueller sein könnte.
Ein Zimmer weiter sitzt der neue Jahrgang der Landwirtschaftsschule. Dort stehen an diesem Tag die Grundlagen der dualen Berufsausbildung auf dem Programm. Dass dieser Lehrgang überhaupt zustande kam, war erst drei Tage vor Beginn des neuen Semesters klar. Denn mit zwölf Anmeldungen lag die staatlich finanzierte Schule unter der Minimalzahl von 16 Teilnehmern, einige Anwärter waren kurzfristig noch abgesprungen. An der Erdinger Landwirtschaftsschule hatte es ebenfalls zu wenig Anmeldungen gegeben. Im letzten Moment entschied schließlich Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU), dass die beiden Fachschulen eine Ausnahmegenehmigung bekommen. Sie wolle damit ein Zeichen der Solidarität für die jungen Landwirte setzen, sagte Kaniber – und die übrigen Studierenden nicht besonderen Härten aussetzen.
Denn der Zeit an der Landwirtschaftsschule geht viel Planung voraus. Wie etwa bei Helena Breitsameter. Die 20-Jährige aus dem Landkreis Aichach-Friedberg hat einen elf Monate alten Sohn – und mit ihrer Familie schon alles so gedeichselt, dass sie ihre Ausbildung in Puch fortführen kann, während ihr Mann den heimischen Milchviehbetrieb führt. Als sie kurz vor knapp die Nachricht erreichte, dass der Jahrgang womöglich gar nicht starten kann, war der Schock groß. „Ich habe versucht, auf die Schnelle im Bekanntenkreis noch mögliche Mitschüler zusammenzutrommeln.“ Ohne Erfolg. Erst als Schulleiterin Marianne Heidner sie anrief, um ihr von der Ausnahmegenehmigung zu berichten, konnte sie aufatmen. „Der Knall von dem Stein, der mir vom Herzen gefallen ist, muss im ganzen Umkreis zu hören gewesen sein“, sagt Breitsameter und lacht.
Auch ihren Mitschüler Alexander Hintermeyer hätte die Absage vor Probleme gestellt. Er ist einer der wenigen Quereinsteiger in die Branche. Der Aichacher stammt nicht von einem Hof, doch die Begeisterung für die Arbeit mit Kühen führte den 19-Jährigen als Angestellten auf einen landwirtschaftlichen Betrieb in der Nachbarschaft. Dort hatte man sich auf seine Abwesenheit während der Ausbildungszeit längst eingestellt. „Der Chef hat schon einen neuen Lehrling eingestellt.“ Und nun wäre die ganze Planung beinahe geplatzt. „Zum Glück nur beinahe.“
Aber ist der Bewerberschwund an den Landwirtschaftsschulen nun im Bereich der üblichen Schwankungen – oder doch ein Zeichen dafür, dass der Beruf beim Nachwuchs immer unbeliebter wird? Für Schulleiterin Marianne Heidner spielt beides eine Rolle. „Einerseits leiden wir in Fürstenfeldbruck darunter, dass wir hier keine eigene Berufsschule haben, von der die Ausgebildeten weiter zu uns kommen.“ Deshalb habe man schon in diesem Jahr begonnen, in den umliegenden Landkreisen für die Landwirtschaftsschule zu werben. Aber natürlich spiele auch der aktuelle Frust unter den Landwirten über die Rahmenbedingungen ihres Berufs eine Rolle.
Die Schüler sehen das ganz ähnlich. „Wenn der Bauer von der Gesellschaft permanent als Buhmann hingestellt wird, kann ich verstehen, wenn immer mehr junge Leute sagen: ,Dann gehe ich lieber in die Industrie, mit geregelten Arbeitszeiten und besserer Bezahlung‘“, sagt Helena Breitsameter. Und Alexander Hintermeyer ergänzt: „Vielen sagen schon die Eltern, dass der Betrieb keine Zukunft mehr hat. Warum sollte man sich den Stress dann noch antun?“ Sie beide haben sich trotzdem für diesen Weg entschieden. Weil sie ihr eigener Chef sein wollen, die Arbeit im Freien und mit den Tieren lieben.
Aber was, wenn sich diese idealistische Sicht auf Dauer nicht mehr durchsetzt? Die Ausnahmegenehmigung für Erding und Fürstenfeldbruck gilt nur für dieses Jahr. Mittelfristig seien die Fachschulen so aufzustellen, dass die Absagen einzelner Studierender nicht den Semesterstart gefährden, sagt Ministerin Kaniber. Sie habe das zuständige Referat im Ministerium beauftragt, ein Konzept zu erstellen, mit dem Engpässe wie in diesem Jahr künftig vermieden werden können.
Für Schulleiterin Heidner wäre es eine Katastrophe, wenn künftig Jahrgänge ausfallen müssten. „Damit würden wir den Kontakt zu den jungen Landwirten verlieren.“ Denn die Ausbildung sei mehr als nur das reine Vermitteln von Theorie. „Die Teilnehmer durchleuchten ihren eigenen Betrieb und erstellen Konzepte, wie sie diesen in die Zukunft führen können.“ Egal, ob durch stärkere Direktvermarktung, durch neue Investitionen oder durch eine Umstellung auf ökologische Landwirtschaft. „Hier findet jeder den für sich passenden Weg.“ Ohne das Ausbildungsangebot würden die Junglandwirte mit dieser Entscheidung allein gelassen.