Die Sauerbruch-Hände

von Redaktion

Eine makabre Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg

In Oberammergau, dem berühmten Passionsspielort, mussten die Handwerker umsatteln. Statt Krippenfiguren und Heiligendarstellungen schnitzten sie in der Kriegszeit ab 1940 Prothesen.

Im Privatarchiv der Firma Georg Lang selig Erben, auch heute noch eines der führenden Häuser für sakrale Schnitzkunst am Ort, blieben wohl einzigartige Fotos erhalten. Die Schnitzer der Firma feilen an Hand- und Beinprothesen. „Das waren meist ältere Schnitzer, die nicht mehr in den Krieg geschickt wurden“, sagt Inhaber Florian Lang. „Die meisten habe ich noch gekannt.“ Für den Kriegsdienst an der „Heimatfront“ wurden sie zwangsverpflichtet.

Lang hat einen alten Zeitungsartikel aus der NS-Zeit aufgehoben, der einige Hintergründe nennt. Demnach hatte sich der Langsche Betrieb schon seit dem ersten Kriegsjahr auf die Prothesenherstellung spezialisiert und, wie der Artikel rühmt, „zu einem Stand entwickelt, der ihm die Anerkennung höchster Stellen eintrug“. Die Firma lieferte alle möglichen Arten von Prothesen: Waden- und Kniestücke. Arme und Hände. Nach Professor Ferdinand Sauerbruch, dem berühmten Chirurgen, hießen die Hände auch „Sauerbruch-Hände“. Sauerbruch hatte im Ersten Weltkrieg spezielle Prothesen entwickelt, die mit der Muskulatur am Amputationsstumpf verbunden waren. Amputierte Patienten konnten so die Finger ihrer Prothese bewegen. „Offenbar gab es verschiedene Standards“, sagt Inhaber Florian Lang. Bei manchen Prothesen war nur der Daumen beweglich, bei anderen alle Finger.

Bei Lang wurden diese Hände in drei verschiedenen Größen angefertigt. In dem Artikel heißt es dazu: „Bei der Sauerbruchhand, die aus Nußbaumholz hergestellt wird, sind bei einer Gesamtherstellung von elf Stunden, von denen wiederum vier Stunden auf Maschinen- und sieben Stunden auf Handarbeit entfallen, durch zehn Leute weit über 40 Arbeitsvorgänge zu bewältigen.“

Florian Lang hat noch drei Prothesen aufgehoben – makabere, für die Betroffenen damals gleichwohl notwendige Relikte der Kriegszeit – eine Erinnerung an eine schreckliche Zeit.

Nach dem Krieg kehrte das Unternehmen zur herkömmlichen Schnitzkunst zurück. Es kann mittlerweile auf eine 230-jährige Tradition zurückblicken. DIRK WALTER

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