Graben/Lagerlechfeld – Beinahe wäre die von langer Hand geplante Aktion schief gegangen – und die Fahne in einer Mülltonne gelandet. Denn der Offizier vom Wachdienst darf gemäß Dienstvorschrift nichts in Empfang nehmen.
An einem Sonntagnachmittag im September tauchte die Amerikanerin Margaret O’Connor zusammen mit ihrem Sohn Adam Delpozzo an der Hauptwache der Lechfeld-Kaserne bei Graben (Landkreis Augsburg) auf. In der Hand ein ungewöhnliches Mitbringsel: eine Fahne, die ihr Vater Richard V. Sausa am Ende des Zweiten Weltkrieges in seine amerikanische Heimat mitgenommen hatte. In einem Begleitschreiben berichtet sie, dass Major Sausa die Fahne bei der Besichtigung der Schäden in den Straßen von Lagerlechfeld nach einer Bombardierung gefunden habe. „Nachdem die Deutschen später unsere Alliierten geworden sind, sprach er oft davon, das Banner wieder zurück nach Deutschland zu bringen“, schreibt Margaret O’Connor.
Die Familie Sausa lebte in den frühen 50er Jahren in einem Dorf bei Nancy in Frankreich, später dann in den USA. Zuletzt wohnten sie in Niskayuna nördlich von New York. „Ich erinnere mich, dass die Fahne dort in seinem Wohnzimmer hing, wo er 91-jährig vor 14 Jahren starb“, sagt seine Tochter.
Vom Krieg hätte ihr Vater so gut wie nichts berichtet. Nachdem kürzlich auch ihre Mutter starb, fand O’Connor in Abstimmung mit ihren Schwestern Maureen Sausa und Michelle Sausa-Gatta, dass es jetzt höchste Zeit sei, den Wunsch ihres Vaters zu erfüllen und die Fahne in die Heimat zurückzubringen. Dem voran gingen umfangreiche Recherchen im Internet, die ergaben, dass die Fahne wohl mehr ideellen als finanziellen Wert hat. Eine Feuerwehr Lagerlechfeld gibt es nicht mehr, deswegen entschieden sie sich, der größten Einheit Lagerlechfelds, nämlich der Lechfeld-Kaserne, die Fahne zu übergeben. Das geschah nun bei einem dreitägiger Ferienaufenthalt in Füssen („wir lieben Bayern“). Ein Soldat der IT-Schule, der dem Offizier vom Wachdienst aus seiner Verlegenheit half, nahm die Fahne nach einem Übergabefoto für das Familienalbum dann schließlich an sich. So gelangte sie zum Kasernenkommandant Oberstleutnant Christian Leypoldt, der sich der Sache mit Eifer annahm und in der Gemeinde, bei der Feuerwehr, in der Militärgeschichtlichen Sammlung Lechfeld und im Landratsamt recherchierte.
Den entscheidenden Hinweis fand Ortschronist Hans Pade im Protokollbuch der Freiwilligen Feuerwehr Graben. Demzufolge gab es seit dem Jahr 1923 eine Feuerwehr Lager Lechfeld, die aber 1936 im Zuge der Gleichschaltung des gesellschaftlichen Lebens in der Zeit des Nationalsozialismus wieder aufgelöst wurde. Große Teile des Personals seien in die Nachbargemeinde Graben gewechselt. Das Besondere: Zwei Jahre nach Gründung der Feuerwehr Lager Lechfeld vermerkt das Protokollbuch die Weihe der jetzt wieder aufgetauchten Fahne. Denn die Grabener Kameraden hatten wegen der engen Verbundenheit und gemeinsam bestrittenen Einsätze die Patenschaft übernommen. „Die Feuerwehr Graben hat aus diesem Anlass sogar ein Erinnerungsband für das Banner gestiftet“, berichtet Hans Pade. „Es scheint, dass die Freiwillige Feuerwehr Graben am ehesten der Rechtsnachfolger der Feuerwehr Lager Lechfeld ist“, schrieb Oberstleutnant Leypoldt seinem Kommandeur Oberst Dirk Niedermeier und empfahl eine offizielle Übergabe. Diese erfolgte nun kürzlich im Rathaus der Gemeinde Graben, zu der auch große Teile von Lagerlechfeld gehören. „Die Verbindung zwischen der Feuerwehr und der damals schon existierenden Kaserne samt Fliegerhorst war vermutlich sehr eng“, sagte Oberst Niedermeier bei der Übergabe, „zumal es damals noch keine eigene Fliegerhorstfeuerwehr gab und die zivile Wehr sicher auch in die Kaserne ausrückte.“ Bürgermeister Andreas Scharf versicherte, dass die Gemeinde und deren Feuerwehr nicht lange gezögert hatten, die Fahne anzunehmen. „Wir haben beim Schreiner sogar schon die Anfertigung einer eigenen Vitrine in Auftrag gegeben, um sie immer sichtbar auszustellen“, so der Bürgermeister. Trotz der langen Odyssee sei die Fahne noch super in Schuss. Das Rot der Vorderseite wie auch das Blau der Rückseite leuchten noch immer sehr kräftig. Bis auf ein paar Flecken hat sie auch keinerlei (kriegsbedingte) Schäden oder gar Mottenlöcher davongetragen. Der Grabener Feuerwehrkommandant Andreas Rudel, zufälligerweise selbst ein Lagerlechfelder, versprach, die Fahne in Ehren zu halten.
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