Höchststadt an der Aisch – Ganz still hält der Karpfen in der Hand von Martin Oberle. Die Haut ist glatt, graubraun, der Bauch beige. Einen zuckenden Leib hätte man erwartet, zumindest ein paar Schläge mit der kräftigen Schwanzflosse. „Das liegt an der Kälte“, sagt Oberle und setzt den Fisch vorsichtig zurück ins Wasser. Die wiedergewonnene Freiheit wird aber nur von kurzer Dauer sein. Der Karpfen hat jetzt Hauptsaison – und der mehr als ein Kilo schwere Fisch ist schlachtreif.
Zu Weihnachten und rund um den Jahreswechsel kommt in vielen Regionen in Deutschland Karpfen auf den Tisch. Viele ältere Menschen kennen und lieben ihn noch von früher. Ihre Kinder erinnern sich dagegen oft mit Grauen an den glibberigen und mit Gräten durchsetzten Fisch mit modrigem Geschmack, den sie vor sich auf dem Teller herumschoben. Der Karpfen hat deshalb nicht den besten Ruf – und entzweit während der Festtage auch schon mal Familien.
In Kieferndorf am Rande des mittelfränkischen Höchststadt ist die Karpfen-Welt noch in Ordnung. Silberreiher staksen an diesem kalten Morgen Ende November durch die Pfützen, die im Münchsweiher stehen geblieben sind. Über Tage hat Günther Geyer das Wasser in dem Karpfenteich abgelassen. Mit Netzen treiben er und mehrere Helfer aus der Nachbarschaft die Fische zusammen, die sich im niedrigen Wasser vor dem Ablauf gesammelt haben. Anders lässt sich der Karpfen nicht fangen. „Er ist flink und schlau“, sagt Oberle. Er leitet bei der Landesanstalt für Landwirtschaft die Karpfenteichwirtschaft und ist damit sozusagen Bayerns oberster Karpfen-Experte.
Nach der Regenbogenforelle ist der Gemeine Karpfen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes der wichtigste Fisch aus Aquakulturen in Deutschland. Rund 4700 Tonnen wurden 2018 bundesweit gezüchtet, Bayern und Sachsen-Anhalt führen dabei mit großem Abstand. Doch beim Verzehr landet der Karpfen weit abgeschlagen hinter Fischen wie Alaska-Seelachs, Lachs, Thunfisch oder Hering. 2018 betrug sein Marktanteil gerade mal 0,5 Prozent.
Dabei sollten wir eigentlich viel mehr Karpfen essen. „Er ist der nachhaltigste Fisch Deutschlands“, sagt die Fischereiexpertin Stella Nemecky von der Umweltschutzorganisation WWF. Der Karpfen lebt in naturnahen Teichen. Im Gegensatz zu vielen anderen Zuchtfischen muss er nicht mit Fischmehl gefüttert werden, sondern ernährt sich von winzigen Wassertierchen, Insektenlarven und Pflanzen. Wenn die Teichwirte zufüttern, dann meist Getreide aus der Region. Nach dem Fangen landet der Karpfen in der Regel direkt auf dem Teller, legt also keine langen Wege zurück.
„Grundsätzlich finde ich den Karpfen von der Struktur des Fleisches her sehr fein“, sagt Spitzenkoch Harald Wohlfahrt. „Er ist ein vielfältiger Fisch, er schmeckt gekocht, gebraten oder zum Beispiel als Karpfengulasch.“ Doch auch er sieht einen großen Nachteil: die vielen Gräten. „Das erklärt die Angst vieler vorm Karpfen.“
Seit einiger Zeit gibt es dafür eine Lösung: einen Grätenschneider. Dieser zerkleinert die Gräten so, dass man diese beim Essen nicht mehr spürt. Seitdem geht Karpfen auch als Filet – und dieses gewinnt immer mehr an Bedeutung, sagt Oberle. Bei jungen Genießern punktet der Karpfen vor allem mit seinem nachhaltigen Image. „Wir beobachten, dass sich viele Menschen tatsächlich aus ökologischen Motiven dem Karpfen zuwenden“, sagt Nina Wolff von der Bewegung Slow Food. Den Eigengeschmack des Karpfens sieht sie eher als kulinarischen Vorteil: „Das ist ähnlich wie beim Wein: Der Boden, in der sich die Teichwirtschaft befindet, und die Eigenschaften des Wassers bestimmen den Geschmack.“