Der Landesbund für Vogelschutz mausert sich still und heimlich zu einer Großmacht im Umweltschutz. Im Gegensatz zum Bund Naturschutz verzichtet der Verband oft auf schrille Töne und plakative politische Stellungnahmen. Nichtsdestotrotz hat der LBV beim Artenschutz-Volksbegehren erfolgreich mitverhandelt. Lohn der Mühen: In diesem Jahr wurde die 100 000-Mitglieder-Marke übersprungen – ein Plus von 7000 Mitgliedern in nur einem Jahr. 2020, zum 111. Geburtstag, sollen es 111 000 Mitglieder werden, sagt Landesvorsitzender Norbert Schäffer, der in unserem Interview Bilanz zieht.
Herr Schäffer, wie fällt Ihre Bilanz für 2019 aus?
Es war ohne Übertreibung das erfolgreichste Jahr für den Naturschutz in Bayern seit Langem. Mit dem Volksbegehren Artenvielfalt gibt es die Chance, dass es jetzt wirklich anders wird in Bayerns Natur. Ja, ich bin optimistisch.
Wenn man dem Wortlaut des sogenannten Versöhnungsgesetzes zum Artenschutz glaubt, dann dürfte der Artenschwund aufhören. Glauben Sie daran?
Also wenn das Volksbegehrensgesetz, das Begleitgesetz und der Maßnahmenkatalog ausreichend finanziert und konsequent umgesetzt werden, dann haben wir die Chance, dass der Artenschwund, der Verlust vieler Insekten- und Vogelarten, gestoppt wird. Das werden wir noch nicht im nächsten Jahr sehen. Aber in fünf bis zehn Jahren erwarte ich eine Trendwende.
Haben Sie Zweifel an der richtigen Umsetzung?
Wir sind vorsichtig. Unsere Aufgabe ist es, wirklich auf die Details zu achten. Da braucht man langen Atem.
Zum Beispiel?
Bei den Streuobstwiesen, die unter Schutz gestellt werden sollen, gibt es eine neue Entwicklung, die uns sorgt. Geschützt werden sollen sie erst bei einem Kronenansatz ab 1,80 Meter aufwärts, nicht mehr ab 1,60 Meter wie früher. Das klingt nach einer Kleinigkeit. Aber es würden viele Flächen aus dem Schutz rausfallen.
Landwirte klagen nach wie vor, dass das Volksbegehren einseitig auf sie ziele, nicht auf Gemeinden oder Privatgärten.
Wir wollen mit den Landwirten zusammenarbeiten. Aber nur mit Traktoren um den Block zu fahren, wie es jetzt die Bewegung Land schafft Verbindung tut, ist zu wenig. Landwirte müssen sich auf Veränderungen einlassen, denn weder mit der Nitratbelastung noch mit dem Verlust an biologischer Vielfalt in der Landwirtschaft kann es so weitergehen.
Und die Gemeinden?
Auch die Bauhöfe und Straßenmeistereien müssen zu Änderungen bereit sein. Unbedingt. Wir sahen schon in diesem Jahr erste positive Ansätze, zum Beispiel Straßenränder, die später gemäht wurden. Vieles basiert aber noch auf Unwissen. So wurden Altgrasstreifen, sobald sie verblüht waren, umgemäht, obwohl sie Überwinterungsorte für Schmetterlinge und andere Insekten sind. Wo es die Verkehrssicherheit zulässt, muss gar nicht gemäht werden.
Drohen Privatgarten- Eigentümern Verbote?
Sagen wir mal so: Viele Bürger sind zu Änderungen bereit, sie wollen doch auch Schmetterlinge in ihren Gärten sehen. Aber ja, der Pestizid-Einsatz in Privatgärten sollte verboten werden. Über einen Sachkundenachweis für Unkrautvernichter käme man hier schnell weiter. Über Bebauungspläne kann man auch Steingärten ausschließen. Wichtig ist aber, die Menschen mitzunehmen, und sie zu überzeugen, dass eine Blumenwiese schöner ist als Rollrasen. Man muss aber auch sagen: Nur zweieinhalb Prozent der Landesfläche sind Gärten.
Sehen Sie noch Chancen für einen dritten Nationalpark in Bayern?
Der Begriff ist im Moment etwas verbrannt. Es geht auch nicht um Nationalparks, obwohl wir das natürlich weiter fordern.
Sondern?
Es geht um nutzungsfreie Großschutzgebiete. Um Referenzflächen für ungestörte Naturentwicklung in Zeiten des Klimawandels. Wissenschaftler benötigen dringend Daten, was in Zukunft auf natürliche Weise im Wald wächst. Sind es Buchen? Oder Eichen? Und anderes? Wir wissen es nicht. Daher fordern wir einen nutzungsfreien Laubwald im Steigerwald. Außerdem hat die Staatsregierung zugesagt, an der Donau im Landkreis Neuburg-Schrobenhausen 2000 Hektar Auwaldgebiet unter Schutz zu stellen. 960 Hektar sind schon ausgewiesen, worüber wir uns sehr freuen. Wir warten jetzt auf die restlichen 1000 Hektar.
Viele Aufgaben – kümmern Sie sich eigentlich noch um Vögel?
Natürlich. Einige ehemals seltene Arten haben sich gut erholt, der Weißstorch etwa, der Wanderfalke oder der Uhu. Was uns weh tut, ist der Schwund von ehemals häufigen Arten: Rebhuhn, Kiebitz, Feldlerche, Braunkehlchen. Bei diesen Arten sind die Bestände in den vergangenen Jahrzehnten zusammengebrochen. Aber wir wissen genau, was wir tun müssen, um unsere Feldvögel zurückzuholen. Vieles davon steht in unserem Volksbegehrensgesetz.
Wie kann man sich selbst engagieren?
Wichtig ist es, Gärten naturnah zu gestalten, als Lebensraum auch für viele Vogelarten. Im Januar findet wieder unsere Mitmachaktion „Stunde der Wintervögel“ statt – da kann jeder mitzählen und sein Wissen erweitern. Wir wollen, dass die Vogelartenkenntnis der Bevölkerung deutlich zunimmt, und jeder einen Buchfink am Gesang erkennt.
Das Gespräch führte Dirk Walter