Pforzen/Tübingen – Madelaine Böhme ist schon seit 35 Jahren im Geschäft, aber einen Medienrummel wie in den vergangenen Monaten hat die Professorin für Paläoklimatologie an der Uni Tübingen noch nie erlebt. „An die vielen Interviews muss man sich schon gewöhnen“, sagt sie. Aber das ist ein Preis, den sie gerne bezahlt für ihren Sensationsfund im Allgäu. Für die Überreste des auf den Namen „Udo“ getauften Menschenaffen, die sie in der Tongrube „Hammerschmiede“ in der 2300-Einwohner-Gemeinde Pforzen gefunden hat. Und die ein Beleg dafür sein könnten, dass unsere Urahnen den aufrechten Gang wohl in Süddeutschland lernten – nicht wie bisher angenommen in Afrika. „Solche Ergebnisse müssen eben in die Öffentlichkeit“, sagt Böhme. „Schließlich steckt in jedem ein kleiner Forscher.“
Und weil ihr so wichtig ist, die neuesten Forschungsergebnisse zur Wiege der Menschheit unters Volk zu bringen, hat sie dazu nicht nur wissenschaftliche Aufsätze und ein Sachbuch veröffentlicht sowie an einem Film mitgearbeitet (siehe Kasten), sondern auch an einer Ausstellung, die ab morgen zu sehen ist. Zunächst allerdings außerhalb Bayerns, und zwar im Schloss Hohentübingen in Baden-Württemberg. Unter dem Titel „Udo. Der erste Fußgänger“ bietet die Universität Tübingen einen hautnahen Blick auf das Skelett aus der Tongrube.
Im Zentrum der Ausstellung steht eine etwa ein Meter große Nachbildung Udos aus hellem Lehm. Das erinnert aus der Ferne eher an eine lebensgroße Sandfigur vom Nordseestrand. Aber beim genaueren Hinsehen sind die in die Nachbildung integrierten Repliken der gefundenen Knochenfossilien gut auszumachen. So wird dem Betrachter bewusst, dass erst ein kleiner Teil des Skeletts freigelegt wurde und noch etliche Teile – und mit ihnen auch Geheimnisse – in der Tongrube auf die Archäologen warten.
Das Forschungsteam um Böhme hatte von 2015 bis 2018 die versteinerten Fossilien der bislang unbekannten Primatenart entdeckt. Arm- und Beinknochen gehörten dazu, Wirbel, Finger- und Zehenknochen auch. So ließ sich rekonstruieren, wie sich der nur gut einen Meter große Udo vor 11,62 Millionen Jahren fortbewegte – wahrscheinlich sowohl auf zwei Beinen als auch kletternd.
Im Fundort Pforzen hat sich der anfängliche Rummel zwar etwas beruhigt, aber natürlich dreht sich immer noch alles um Udo, den Frühaufsteher. Der Faschingsball im Ort firmiert heuer unter dem Titel „Berühmtheiten zu Gast bei Udo“. Und Bürgermeister Herbert Hofer beobachtet immer noch vereinzelt Besucher, die extra anreisen, um den Fundort in der Tongrube zu besuchen – „obwohl der gar nicht zugänglich ist“. Im Frühjahr werden aber wieder Bürgergrabungen stattfinden, für die sich bereits viele Interessenten gemeldet haben, sagt Madelaine Böhme.
Bürgermeister Hofer macht sich derweil Gedanken darüber, wie Udo einen dauerhaften Platz in Pforzen finden kann. Zur Eröffnung morgen wird er sich ein Bild von der Tübinger Ausstellung machen. „Wir überlegen, eine Replik dieser Schau als Wanderausstellung im Allgäu zu zeigen“, sagt er. Mitte April könnte es so weit sein. Und auch für ein Besucherzentrum, wie vom Ministerpräsidenten angedacht, würde die Gemeinde am liebsten schon heute als morgen Pläne entwerfen. Aber da stehe noch die Abstimmung mit dem Wissenschaftsministerium aus. „Es wird wohl noch ein bisschen dauern, bis wir loslaufen können“, sagt Bürgermeister Hofer. Die passenden Wortspiele hat er jedenfalls schon parat.