„Ich wollte mein Kind aufwachsen sehen“

von Redaktion

VON ANDREA EPPNER

München – Kurz vor ihrem 36. Geburtstag ertastete Sonja Wagner eine verhärtete Stelle in der rechten Brust. „Wie eine Platte“ habe sich das angefühlt, erzählt sie. Heute, rund acht Jahre später, ist Wagner 43 und lebt mit ihrem Sohn am Ammersee. Damals war der Bub gerade mal zwei Jahre alt. Wagner hatte zwar längst abgestillt – trotzdem dachte sie erst an eine harmlose Brustentzündung. Wenige Tage später kam die Diagnose: „Sie haben ein Mammakarzinom“, sagte der Arzt. Die Worte trafen Wagner mit voller Wucht. „Das war wie ein schlechter Traum, aus dem man einfach nicht aufwacht“, erzählt sie. Es kam noch schlimmer: Bald stellte sich heraus, dass die Brustkrebs-Erkrankung weit fortgeschritten war. Der Tumor hatte gestreut. Es gab Metastasen in der Leber, „zu viele, um sie zu zählen“, sagte der Radiologe.

Damals wurde ihr zum ersten Mal klar, dass sie sterben könnte. Doch Wagner wollte leben, unbedingt, schon für ihren Sohn. „Mein Kind wird nicht ohne Mutter aufwachsen“, sagte sie sich. Das weckte ihren Kampfgeist.

Doch ihr Gegner war mächtig: Der Tumor in der Brust war aggressiv und groß, ganze acht Zentimeter. Noch vor der OP musste Wagner daher ins Brustzentrum der Münchner Uniklinik zur Chemotherapie. Einmal pro Woche, 18 Mal – Wagner kämpfte sich durch. Nach sechs Wochen fielen ihr die Haare aus. Dann, nach zwölf Wochen ein Kontroll-CT – und endlich gute Nachrichten: Der Tumor in der Brust war nicht mehr sichtbar, die Metastasen in der Leber hatten sich zurückgebildet. „Die Ärzte sprachen von einem kleinen Wunder“, sagt Wagner. Trotzdem wurde ihr später die rechte Brust abgenommen – zu hoch war das Risiko eines Rückfalls.

Einige Monate später entdeckten Ärzte einen auffälligen Lymphknoten hinter der Achsel. „Zu klein für eine klassische Chemotherapie, aber zu groß, um nichts zu tun“, sagt Wagner. Die Ärzte im Brustzentrum boten ihr die Teilnahme an der „Kamilla-Studie“ an. Dabei sollte ein neues Medikament getestet werden: ein Chemotherapeutikum, das an einen „Antikörper“ gekoppelt ist, der ein bisschen wie das Navi im Auto funktioniert. Er steuert den Krebskiller gezielt zu den Tumorzellen. Einen „Ferrari unter den Medikamenten“ habe ihr Bruder – selbst Arzt – die Arznei damals genannt.

113 Infusionen hat Wagner seit April 2013 erhalten. Eine alle drei Wochen. Das Medikament ist inzwischen für den normalen Einsatz zugelassen. Als Versuchskaninchen habe sie sich aber nie gefühlt, sagt Wagner. Sie sieht das so: „Ich bekomme ein neues Medikament, das mir Lebenszeit schenkt. Dafür gebe ich Blut für die Forschung“, sagt sie. „Die Frauen, die nach mir kommen, werden froh sein.“ Sie selbst sei denjenigen dankbar, die vor ihr an Studien teilgenommen hätten, von denen sie heute profitiere.

Seit acht Jahren hält Wagner den Krebs nun schon in Schach. Sie hat viele Arzttermine und Untersuchungen, fühlt sich „am Tag nach der Infusion jedes Mal k. o.“ Das sei jedoch kein Vergleich zu der Chemotherapie davor. Wagner kann ein weitgehend normales Leben führen; sie arbeitet sogar an zwei Tagen im Vertrieb. Das Allerwichtigste für sie ist aber: Sie kann sich um ihren Sohn kümmern, der bald seinen zehnten Geburtstag feiert.

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