Der Pop-Chronist von Schwabing

von Redaktion

Eigentlich fotografierte er nur, weil er so gratis in die angesagten Schwabinger Clubs kam. Doch dabei bekam Ulrich Handl in den 60er- und 70er-Jahren die größten Popstars vor die Linse und hielt legendäre Momente fest. Jetzt findet eine Ausstellung mit seinen schönsten Motiven in der Pasinger Fabrik statt.

VON JOHANNES LÖHR

Es ist der 8. November 1966, Nachmittagsvorstellung im Club „Big Apple“ an der Leopoldstraße. Jimi Hendrix hat gerade Geschichte geschrieben – und das in München –, aber er hat es nicht mal bemerkt. „Der ist stinksauer von der Bühne gestürmt“, erinnert sich Ulrich Handl. „Er und seine Band dachten, sie hätten ihren Auftritt total vergeigt. Ich musste ihnen erst erklären, wie begeistert die Leute waren.“

Nun sollte man wissen, dass Hendrix zu diesem Zeitpunkt noch kein weltbekannter Gitarrenheld war – seine erste LP sollte erst noch erscheinen. Und Handl war ein junger Kerl mit einem Fotoapparat, der wie immer direkt vor den Künstlern stand und Bilder schoss.

Die Wintersonne fällt über Ulrich Handls Schulter, als der 73-Jährige in seinem Wohnzimmer am Westpark die alten Aufnahmen durchblättert. Hendrix, der mit den Zähnen spielt, Hendrix mit Gitarre hinter dem Rücken, Hendrix mit Gitarre zwischen den Beinen. „Wir standen mit offenen Mäulern da – so was hatten wir noch nie gesehen.“

Handl, glasklare blaue Augen, weiße Haare, braune Wildlederweste, muss noch immer lachen, wenn er an diesen Nachmittag denkt. Denn Hendrix hatte es als Desinteresse missverstanden, dass sich in der Menge vor Staunen kaum jemand rührte. Zu allem Überfluss hatte man seinen Vornamen falsch an den Bühnenhintergrund geschrieben („Jimmy“). Und als ihn dann noch jemand aus dem Publikum von der Bühne ziehen wollte, reichte es ihm: Der Gitarrist aus den USA rammte seine „Fender Stratocaster“ vor lauter Frust in den Verstärker, warf sie zu Boden und ging, während die Rückkopplungen weiterheulten. „Ich lief ihm in die Umkleidekabine nach – das war im ,Big Apple‘ nur ein Verschlag unter der Treppe – und habe ihn getröstet“, sagt Handl schmunzelnd. „Das Rückkopplungsgewitter kam so gut an, dass Hendrix es ja bald in seine Show integriert hat.“

Der junge Ulli war sich selbstverständlich nicht bewusst, dass er als Fotograf in den 60er- und 70er-Jahren ein wichtiger Chronist der Zeitgeschichte war und unsterbliche Legenden vor der Linse hatte: Beatles, Rolling Stones, Kinks, Led Zeppelin, The Who. Immer auf Tuchfühlung mit der Popkultur.

Wobei: Eine kleine Vorahnung hätte man haben können, schon als er am 16. September 1946 in Planegg zur Welt kam. „Meine Mutter hat immer erzählt, dass Karl Valentin ums Haus ging, als ich geboren wurde“, erzählt Handl. „Sie hat ihn reden hören.“ Valentin kannte die Familie – Handls Großvater war Berufsmusiker gewesen und hatte zusammen mit dem Humoristen zu dessen großer Zeit Instrumente gebaut.

Als Teenager war Ulrich Handl vor allem an Popmusik und am Nachtleben interessiert. „Ein Freund erzählte mir Ende 1964, dass es da einen neuen Club gibt, wo Bands spielen – das ,PN Hit-house‘.“ Weil er keinen Eintritt zahlen wollte, nahm der Werbekaufmann-Lehrling einfach seine Kamera mit. „Einen Presseausweis habe ich nie besessen.“ Er wurde so etwas wie der „PN“-Hausfotograf, und weil das „Big Apple“ gleich nebenan lag, auch dort. Im Circus Krone kannten ihn die Ordner und winkten ihn durch. „Das Gute war: An der Luisenstraße gab es ein Freizeitheim mit einer Dunkelkammer. Die konnte ich nutzen.“ Außerdem, so fügt er mit einem Augenzwinkern hinzu, hätten die Bands damals oft noch mehrere Tage hintereinander in der Stadt gespielt. „Also konnte ich am zweiten Tag Abzüge von der ersten Show für eine Mark fünfzig an die Fans verkaufen.“

Überhaupt, die Fans. Ulrich Handl war einer von ihnen, also machte er auch ausgiebig Bilder vom Publikum. In der Ausstellung „Beat in Schwabing“ (ab 6. Februar in der Pasinger Fabrik), in der seine Fotos gezeigt werden, sind einige Wände nur mit alten Bildern junger Münchner bestückt (siehe Kasten). Allesamt Hipster, würde man heute sagen, jedenfalls unheimlich gut aussehend: die Burschen mit Bügelfalte in der Hose, die Mädels in bunten Kleidern und Kostümen. „Ich hoffe, dass sich da der ein oder andere wiedererkennt“, sagt Handl lachend. „Oder vielleicht seinen Opa oder seine Oma.“

Der junge Fotograf machte Karriere. Er heuerte als Assistent bei Wolfgang „Bubi“ Heilemann an, der bald als Fotograf zur „Bravo“ ging. Handl folgte ihm, fotografierte Popstars, Filmstars, Fußballstars. Die Bee Gees in London, Diana Rigg vor einer Münchner Villa. Heinz Rühmann, Duke Ellington und Mireille Mathieu bei der Bambiverleihung. Bryan Ferry beim Tennisspielen mit seiner Frau Jerry Hall am Chinesischen Turm. Franz Beckenbauer zu Hause. Eine wilde Zeit, sagt Handl heute. Mit einigen der Stars freundete er sich sogar an – mit Graham Nash etwa, den er bereits mit den Hollies im „PN“ fotografierte und den er immer mal wieder trifft, wenn der Sänger mit Crosby, Stills & Nash in der Stadt ist.

„Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können.“ So zitiert der 73-Jährige den Dichter Jean Paul, während er versonnen die dicken Mappen mit Fotos durchgeht, die auf dem Wohnzimmertisch liegen. „Ich habe das Glück, dass ich meine Erinnerungen festgehalten habe.“

Kein ungetrübtes Glück freilich. Denn all das Material muss ja auch gesichtet, erhalten und katalogisiert werden. „Ich habe in den vergangenen zehn Jahren kaum was anderes gemacht, als Fotos zu digitalisieren“, ächzt er. Und immer noch seien da zehntausende Negative, die noch nicht begutachtet wurden. Nur gut, dass er in seiner Frau Marzena eine sehr geduldige Gefährtin hat – die sich aus dem bis unter die Decke mit Fotokisten und Akten vollgestellten Arbeitszimmer ihres Mannes lieber raushält. „Es ist sein Jungbrunnen“, sagt sie lachend.

Und es war ja auch die beste Zeit, für die Popmusik wie für die Fotografen. „Heute“, sagt Handl, „dürfen die nur noch für die ersten drei Songs vor die Bühne und sind weit weg.“ Er war damals so nah dran an Jimi Hendrix – er hätte ihn am Hosenbein zupfen können.

Der sei beim Konzert tags darauf übrigens sehr viel besser gelaunt gewesen, berichtet Handl. „Er hat mir ein Autogramm auf eins meiner Fotos gegeben – ,To Ulli Best Best Wishes‘.“ Die Laune könnte sich auch gehoben haben, weil Hendrix an diesem Tag Münchens heißeste Kommunardin, Uschi Obermaier, im „Big Apple“ kennenlernte – „vor meiner Nase“, erinnert sich der Chronist. „Die sind dann zusammen ins Hotel. Der Rest ist Geschichte.“

Artikel 1 von 11