München – Max Mannheimer (1920–2016) war vielen bekannt, er hat seit den 1980er-Jahren erzählt über seine schreckliche Zeit im Konzentrationslager. Ich lernte ihn jedoch durch einen ganz anderen Umstand kennen. Ich sah eines Tages auf den Münchner Straßen ein ungewöhnliches Fahrzeug: einen silbernen Stromlinien-Tatra 87 mit Heckflosse und Heckmotor, ein Gustostück in dieser Zeit. Und ein Stück Heimat. Der Tatra war ein tschechisches Fabrikat, luftgekühlt und mit acht Zylindern. In Nesselsdorf in Mähren gebaut. Max Mannheimer fuhr ein Nachkriegsmodell.
Ich erkundigte mich, wer der Herr am Steuer war – und stieß so auf Max Mannheimer. Ich rief ihn an, er lud mich ein, so entstand unsere Bekanntschaft.
Max stammte aus Neutitschein. Deutsche und Tschechen lebten dort vor dem Krieg friedlich zusammen. Es gab eine barocke Kirche, ein Schloss und die malerischen Laubenhäuser am Marktplatz. Und da steht bis heute auch der berühmte Bauernbrunnen mit dem tanzenden Bauernpaar, da stehen Denkmäler, die Friedrich Schiller und Joseph Eichendorff gewidmet sind. Inmitten des Kuhländchens gelegen, gab es hier Viehmärkte, Tucherzeugung und eine große Hutfabrik.
Das Leben von Max Mannheimer, Sohn einer Kaufmannsfamilie, verlief normal, bis die deutsche Wehrmacht 1939 das Land überfiel. Für den Juden Max bedeutete das: Schluss mit Fußball, Schluss mit Sport, er gehörte zu den Geächteten. Seine Eltern kamen nach Theresienstadt, dann Auschwitz, wo sie starben. Er und seine Brüder folgten wenig später, doch sie blieben am Leben, weil sie jung und kräftig waren und arbeiten konnten.
1944, die Sowjets rückten näher, wurden Auschwitz-Häftlinge nach Deutschland zurückgebracht. Max Mannheimer gelangte ins Außenlager Karlsfeld bei Dachau. Als er erfuhr, dass sein jüngster Bruder im Lager Mettenheim war, wo im ausgedehnten Mühldorfer Hart eine unterirdische Flugmotorenfabrik gebaut werden sollte, versuchte er auch, dorthin zu kommen. Es gelang. Sie überlebten den Horror.
Was machten DPs (Displaced Persons) nach ihrer Befreiung? Sie versuchten, in ihre Heimat zurückzukehren. Auch Mannheimer. 1946 meldete er sich wieder in Neutitschein. Vielleicht erwartete er Ovationen. Aber dem war nicht so. Für die Tschechen war er in erster Linie Deutscher, ein deutscher Jude. Schon 1947 war er wieder in München. Machte dies und das, handelte in der berüchtigten Möhlstraße, heiratete und baute sich ein neues Leben auf. Und da fand er den Weg in die Malerei. Im Hobbyraum des Bungalows in Haar richtete er sich ein Atelier ein und malte nach seinem Stil. Ohne Pinsel, ohne Stellage. Er hatte nur einen riesigen Tisch, spannte darauf Leinwand oder Karton und goss aus rundum stehenden Gefäßen Farbe darüber, ließ sie ineinander zerfließen – ein eigener Weg, ein eigener Stil. Und ein Pseudonym: Ben Jacob. „Ich male nur für mich“ heißt eines seiner drei Büchlein. Dennoch stellte er auch aus.
Seine Erinnerungen „Drei Leben“ erschienen 2012, sein „Spätes Tagebuch“ um 2000 – es ist besonders kraftvoll und fesselnd. Schüler und Schülerinnen in Bayern hörten ihm zu, stiller und gefesselter als ihren besten Lehrern. Bemerkenswert: Er hat dabei nie Schuldige genannt, er schilderte immer nur, was geschehen ist. Und mahnte, dass sich so etwas niemals wiederholen dürfe. Irgendwann in seinem letzten Lebensjahr kam dann eine Einladung: „Mannheimer neben Kandinsky“ hieß es da. Eine Ausstellung im Schlossmuseum Murnau, in der Museenlandschaft des Expressionismus. Und tatsächlich, da hing nun eines der auf flachen Tischen, auf Platten gegossenen Mannheimer-Oeuvres – dort, wo Werke von Gabriele Münter und Franz Marc und Lovis Corinth und die anderen hängen. Mannheimer in der Musenlandschaft des Expressionismus. Bemerkenswert!
Altösterreichische Manieren konnte er nie verbergen. Gingen wir zusammen zum Essen und war die Suppe nicht richtig warm, dann schickte er sie zurück und wollte auch nicht mehr recht wiederkommen, obwohl die Svicková, die herrliche Soße und die blütenweißen Serviettenknödel dort am besten schmeckten. Er hatte viel von der Lebensart der alten Österreicher, der Brünner und Wiener. Und er war ein charmanter und ergiebiger Plauderer. Sein Auto, der Tatraplan, war ein wichtiges Stück in seinem Leben: „Seht her, ich habe es geschafft“. Irgendwann hat er ihn verkauft, nach Gauting oder Starnberg, wo das Geld ist.
* Unser Autor Hans-Roland Zitka, 88, war Autojournalist für verschiedene Tageszeitungen und Zeitschriften. Er lebt im Landkreis München.