Lehrerinnen sagen: „So nicht mehr!“

von Redaktion

Michael Piazolos Vorstoß, Grundschullehrerinnen eine Stunde mehr arbeiten zu lassen, um Engpässe im Unterricht zu vermeiden, stößt auf die gegensätzliche Reaktion, die er sich wohl erhofft hatte: Eine Umfrage zeigt nun, dass sich viele Lehrerinnen dadurch nicht wertgeschätzt fühlen – und nun weniger Stunden arbeiten wollen.

VON NINA PRAUN

München – Die Strategien des bayerischen Kultusministers Michael Piazolo (FW) für eine „sichere“ Unterrichtsversorgung an Grundschulen scheinen derzeit für alles andere als Sicherheit zu sorgen. Sondern für: Verwirrung, Frust und Ärger. „Es war der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat“, sagt Edith Gaß, Die 46-Jährige ist seit über 20 Jahren Grundschullehrerin. Sie sagt: „Seit Jahren wird unser Beruf komplexer, schwieriger, zeitaufwendiger. Und nun gibt es keine Entlastungsmaßnahmen – sondern noch mehr Arbeit. Deshalb sind wir so verärgert.“

Vier betroffene Lehrerinnen aus der Münchner Region haben nun bei einem Besuch in unserer Münchner Redaktion erklärt, was genau sie an dem Brief – von dem sie aus den Medien erfahren hatten – so stört. Und dass sie mit ihren Empfindungen nicht allein sind: Sie haben eine Umfrage erstellt, per Whatsapp verbreitet und innerhalb eines Tages Antworten von über 5000 Betroffenen erhalten. „Selbstverständlich ist sie nicht repräsentativ, das behaupten wir nicht“, betont Gaß. „Aber wir haben damit etwa 14 Prozent der bayerischen Grundschullehrkräfte erreicht. Das zeigt, welche Brisanz das Thema bei uns hat.“

Die Ergebnisse der Umfrage zeigen auch: Mehr als zwei Drittel der Befragten fühlen sich durch den Brief gar nicht wertgeschätzt (Wert 0 auf einer Skala von 0 bis 6). Und: Mehr als die Hälfte überlegt nun, wegen der neuen Regelung Zusatzarbeiten wie Ausflüge, Klassenfahrten oder Projekte zu minimieren. Außerdem hat mehr ein Drittel der Teilzeitkräfte laut Befragung vor, ihre Stundenzahl zu behalten; etwa 15 Prozent wolle sie sogar reduzieren; zudem überlegen 40 Prozent der Vollzeitkräfte ebenfalls, ihre Stunden zu reduzieren.

Das ist wohl die gegenteilige Reaktion, die Piazolo erhofft hatte. Gaß erklärt: „Diese Stunden auf dem Papier sagen so wenig über die eigentliche Arbeitszeit aus.“ So können zehn Stunden Teilzeit ohne Klassenleitung „gut zu händeln“ sein, so Gaß, und seien auch „ordentlich bezahlt“. Komme jedoch eine Klassenleitung hinzu, steige das Arbeitspensum plötzlich um „50 bis 100 Prozent“ – mehr Bezahlung gibt es aber nicht. Und: Sie wissen nie, was im nächsten Jahr passiert. Silke Koch, 40 Jahre alt, hat einen zweijährigen Sohn und arbeitet derzeit 12 Stunden in der Woche. Jetzt muss sie ihren Stundenantrag für das nächste Schuljahr einreichen; sie erfahre aber erst etwa eine Woche vor Schulbeginn im September, an welcher Schule sie eingesetzt wird und ob eine Klassleitung hinzukommt. Wenn ja, dann muss sie die Mehrarbeit als Mutter spontan „abends und am Wochenende“ stemmen.

Doch Piazolo hatte ja betont, dass das bayerische Grundschulwesen eigentlich auf Vollzeitkräfte ausgelegt sei. Da kann Simone Schönen nur mit den Augen rollen. Sie ist 35 Jahre alt, arbeitet Vollzeit und hat eine Klassenleitung. Sie hat ihre Arbeitszeit immer wieder dokumentiert und festgestellt: „Ich arbeite 55, manchmal 60 Stunden die Woche.“ Sie muss den Unterricht vorbereiten, Wochenpläne erstellen, Proben vorbereiten, korrigieren und auswerten, sie muss mit Psychologen zusammenarbeiten, Elterngespräche stemmen und nebenher: dokumentieren, dokumentieren, dokumentieren. Doch Überstunden werden nicht zusätzlich bezahlt: Grundschullehrerinnen haben gar keine Arbeitszeiterfassung. Sie bekommen nur die Zeit bezahlt, die auf dem Papier steht, egal, wie viel sie wirklich arbeiten. Umso unverständlicher für sie das Versprechen Piazolos, dass die zusätzliche Stunde auf einem „Arbeitszeitkonto“ gutgeschrieben werde.

„Ich wage eine These“, sagt Gaß: „Das System funktioniert nur, weil uns die Kinder so sehr am Herzen liegen. Aber nun erheben wir die Stimme und sagen: So nicht mehr!“ Doch was dann? Die Lehrerinnen haben da klare Vorstellungen. Erstens: Planungssicherheit. Zweitens: Lohngerechtigkeit. Und drittens: den Beruf attraktiver machen; durch angemessene Bezahlung, durch Wertschätzung, durch Mitsprache. „Dass es Notfallmaßnahmen geben muss, ist verständlich, aber so bringen sie uns nicht weiter“, sagt Alexandra Hofheinz. „Doch mit uns spricht ja keiner darüber.“

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