So manche große Entdeckung muss warten, bis ihre Zeit kommt. Der Taucher Norbert Schuch hat vor fast 60 Jahren ein imposantes Elchgeweih aus dem Eibsee unterhalb der Zugspitze rausgetaucht. Er hat es dem Museum Werdenfels in Garmisch-Partenkirchen gegeben, wo es sicher verwahrt, aber nie ausgestellt wurde. Kein Mensch dachte, dass dieses Geweih irgendwas Besonderes ist. Aber das ist es sehr wohl, denn die bayerische Geschichte muss seit einer kürzlich erfolgten Altersermittlung per Radiokarbonmethode umgeschrieben werden. Zumindest die bayerische Elchgeschichte.
„Die Kuriosität ist, dass das Geweih aus dem 5. Jahrhundert vor Christus stammt“, sagt Archäologin Caroline von Nicolai von der Ludwig-Maximilians-Universität in München. „Das ist die vorrömische Eisenzeit.“ Sie erforscht die bayerische Elchgeschichte gerade. Eigentlich dachte man, dass Elche hierzulande schon viel länger ausgestorben waren. Aber offenbar war die Region länger Heimat der 500 Kilo schweren Tiere, die zur Familie der Hirsche gehören und pro Tag bis zu 40 Kilo Blätter, Wasserpflanzen und Knospen fressen.
Ein Kollege von Caroline von Nicolai hat die Geweihschaufel im Museum entdeckt. So wurde aus dem Tauchfund viele Jahrzehnte später ein Forschungsprojekt. Bei Scharnitz gleich hinter der österreichischen Grenze wurde in einer Höhle auf 1800 Metern Höhe ein Elch-skelett gefunden, das aus der Zeit um Christi Geburt stammt. Auch im Walchensee wurden Elch-Überbleibsel gefunden, aber die sind schon 10 000 Jahre alt.
Die Münchner Archäologin sucht gerade alle Funde aus Süddeutschland zusammen. Der Wissenschaftlerin geht es darum, rauszukriegen, warum die Elche Bayern verlassen haben und wie lange es die Tiere in den Voralpen tatsächlich gab. „Elche sind Einzelgänger“, sagt von Nicolai, „und sie brauchen viel Platz. Wahrscheinlich sind sich Elch und Mensch in die Quere gekommen.“ Die Tiere wurden bejagt und womöglich vertrieben. Möglicherweise waren auch die klimatischen Bedingungen über Jahre ungünstig. „Elche mögen es kalt“, sagt die Forscherin, „Zehn bis 15 Grad oder noch weniger sind gut. Sie leiden unter Hitzestress, wenn es zu heißen Sommer gibt.“ Womöglich waren die Tiere damals schon Klimaflüchtlinge.
In der heutigen Zeit sind Elche in Nordeuropa, Nordamerika und Nordasien heimisch. Aber auch hierzulande ist man vorbereitet. Für den Fall der Fälle. Das bayerische Landwirtschaftsministerium hat vor Jahren schon einen „Elchplan für Bayern“ ausgearbeitet. Untertitel: „Strategien zum Umgang mit wandernden Elchen“. In Ostbayern gibt es vereinzelte Sichtungen von Elchen, die aus Tschechien über die Grenze gewandert sind, um Ausschau nach Weibchen zu halten. Ein Risiko für die Bevölkerung? Vielleicht. „Elche können generell aus diversen Gründen die Sicherheit des Straßenverkehrs gefährden“, heißt es im Elchplan. „Sie legen kein überstürztes Fluchtverhalten an den Tag, selbst wenn sie mit unbekannten Objekten konfrontiert werden.“
Vor Jahren hat sich ein einzelnes Tier wochenlang an der A 9 bei Bayreuth aufgehalten. Dem Elch hat es offenbar in Oberfranken gefallen. Gleichwohl kann von Nicolai eine Rückkehr der Tiere nach Oberbayern nur empfehlen, wenn man zum Beispiel als Waldbesitzer starke Nerven hat. „Sobald ein Elch einen Baum fressen will“, sagt sie, „dann lehnt er sich mit seinem Körpergewicht dagegen, bis er umfällt.“
Elche in Bayern. Gerade spricht wenig für ein Comeback. Aber wer sich doch ein wenig mit ihnen auseinandersetzen will, für den gibt es bald eine Anlaufstelle. Im Museum Werdenfels soll es eine Ausstellung geben. Weit über ein halbes Jahrhundert nach dem Fund. STEFAN SESSLER