München – Lustig, sündig und ziemlich chaotisch muss es zugegangen sein, damals, als im Mittelalter die Narren die Macht übernommen haben. „In der Zeit vor dem österlichen Fasten hat man es noch einmal richtig krachen lassen“, erklärt Annegret Braun, Kulturwissenschaftlerin an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Wenn in diesen Tagen Faschingsfreunde in ganz Bayern die fünfte Jahreszeit feiern, dann geht das bis auf das 13. Jahrhundert zurück. Die Fastnacht – die Zeit vor Beginn der Fastenzeit – war eine gottlose Zeit. Überall war im wahrsten Sinne des Wortes der Teufel los. „Der Fasching ist ein Fest der verkehrten Welt“, erklärt Braun. Die sündige Welt stand der gottgefälligen Welt gegenüber, die Narren lehnten sich gegen die Autoritäten auf. „Die Kirche und die Obrigkeiten haben das toleriert“, sagt Braun. Denn Ursprung des Treibens sei die Zwei-Staaten-Lehre von Augustinus, wonach es einen Teufelsstaat und einen Gottesstaat gibt. „Wenn der Teufelsstaat in seiner Bösartigkeit dargestellt wurde, dann sollte das abschrecken“, erklärt Braun. Die Hoffnung sei gewesen, dass sich die Menschen nach Alkoholexzessen mit Schlägereien und Übergriffen ab Aschermittwoch doch wieder nach einem gemäßigten, ordentlichen Leben sehnen würden.
In München ging es nicht ganz so turbulent zu: Die Handwerker feierten auf den Straßen und am Hof gab es im 16. Jahrhundert Maskenfeste. Doch auch in Bayern nutzte das Volk die Gelegenheit, die Obrigkeiten gehörig zu verspotten. „Mit Verkleidungen hat man sich über die hohen Herren lustig gemacht“, berichtet Braun. „Wenn man unerkannt bleiben kann, sind die Barrieren geringer. Deshalb waren vielerorts auch Menschen mit Holzmasken unterwegs.“ Die einen verkleideten sich als Geistliche und Prinzen, die anderen als Tiere wie Esel und Affe. Manche zogen Teufels- und Hexenkostüme an, um die Satanswelt darzustellen. Ähnlich wie jetzt also.
Und genau wie heute wurde damals geschlemmt: „Die Leute haben vor der Fastenzeit richtig fett gekocht und gebacken“, erklärt Annegret Braun. „Darauf gehen die Faschingskrapfen zurück.“
Irgendwann wurde das Spektakel den Herrschern aber doch zu bunt: Ende des 18. Jahrhunderts gab es mancherorts sogar ein Maskerade-Verbot. Eine Theorie besagt, dass so der rußige Freitag entstanden ist: „Die Leute sollen sich mit Ruß beschmiert haben, weil sie sich nicht verkleiden durften“, erklärt Braun. Ziel war, den Ausschreitungen Einhalt zu gebieten und das Faschingstreiben in geordnete Bahnen zu lenken. 1823 gab es in Köln den ersten organisierten Faschingsumzug – und im Rahmen dessen auch das erste offizielle Faschingsprinzenpaar. In München entstand 1893 nach rheinischem Vorbild eine Karnevalsgesellschaft, die den ersten Faschingsprinzen stellte und den ersten Faschingszug durch die Stadt organisierte.
Doch auch der „wilde“ Fasching hat in Bayern seine Spuren hinterlassen. Wenn am Unsinnigen Donnerstag die Frauen als Hexen verkleidet die Rathäuser stürmen, um Bürgermeistern und Gemeinderäten die Leviten zu lesen, dann gehe das auf die Machtübernahme der einfachen Leute zurück, erklärt Braun. „Und auch Frauen- und Männermacht wird beim Weiberfasching umgekehrt“, sagt sie. „Deshalb schneiden die Frauen auch die Krawatten als Symbol der Macht ab.“
Stellt sich nur noch eine Frage: Warum beginnt der Fasching am 11.11. um 11.11 Uhr? „Woher die Narrenzahl elf kommt, ist in der Forschung nicht ganz klar. Es gibt mehrere Theorien“, sagt Annegret Braun. „Neuere Forschungen sagen, dass elf in der christlichen Allegorie allgemein auf Sünde oder die letzte Stunde verweist“, erklärt sie. Die Elf gelte als negativ, weil sie zwischen der Zehn mit den Zehn Geboten und der Zwölf mit den zwölf Aposteln stehe. Es gibt aber auch eine andere Erklärung. „Elf könnte auch die Abkürzung von ,Ei, lustig, fröhlich‘ sein“, sagt Annegret Braun. Und das ist der Fasching auf jeden Fall.