München – Die tödliche Präzision, mit der Tobias R. in Hanau seine Opfer ermordete, hat er am Schießstand trainiert. Sterben Menschen durch Waffengewalt, wird die Forderung nach schärferen Gesetzen laut. Wenn noch dazu ein Sportschütze tötet, stehen mit ihm auch die Vereine und der Schießsport im Fokus. So war es nach dem Mord an Walter Lübcke im Juni 2019. So ist es nun nach Hanau, wo der 43-Jährige aus rassistischen Motiven zehn Menschen und sich selbst erschossen hat. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat bereits eine Überprüfung des erst vor Kurzem verschärften Waffenrechts angekündigt.
Andreas Lechermann nennt es einen Automatismus. „Das sind furchtbare Taten“, sagt der Gauschützenmeister des Gaus Starnberg. „Aber jedes Mal aufs Neue stehen die Schützen unter Generalverdacht. Viele sind davon genervt.“ Eine Einschätzung, die sein Ebersberger Kollege nicht teilt. „Momentan wird mit uns sehr fair umgegangen“, sagt Ulrich Seibold. Reflexartige Pauschalvorwürfe und Forderungen nach härteren Gesetzen habe er bisher nicht registriert. „Allerdings sollte man das Versagen der Behörden nicht vergessen. Dass Hinweisen auf eine geistige Verwirrtheit des Mannes nicht nachgegangen wurde, ist ein Unding.“
In Deutschland hat der Schießsport eine lange Tradition, das Schützenwesen steht auf der Unesco-Liste für immaterielles Kulturerbe. Gut 1,3 Millionen Mitglieder hat der Deutsche Schützenbund (DSB). Der Bayerische Sportschützenbund (BSSB) mit seinen knapp 470 000 Mitgliedern ist der größte Landesverband. Für die Initiative „Keine Mordwaffen als Sportwaffen“ ist der DSB Teil einer Waffenlobby, die Gefahren bagatellisiere. Die Kritiker fordern vor allem, dass die Waffen nicht zuhause aufbewahrt werden dürfen. Auch der frühere Grünen-Chef Jürgen Trittin schlägt nun vor, dass Sportschützen ihre Waffen im Verein einschließen müssen.
Der DSB kennt die Forderungen – und hält dagegen. „Das ist quasi ein Lockangebot für jeden, der durch einen Einbruch an Waffen herankommen will“, sagt Robert Garmeister, DSB-Leiter für Recht und Verbandsentwicklung. Er betont, dass Verbrechen wie in Hanau auch Schützen erschüttern. „Als Sportschützen macht es uns besonders betroffen, dass der mutmaßliche Täter ein Mitglied unserer Vereine war.“ Weitere Restriktionen seien laut DSB dennoch nicht sinnvoll: „Gegen menschliches Fehlverhalten und kriminelle Energie helfen die besten Gesetze nicht“, sagt Garmeister.
Der Weg zu einer eigenen, legalen Waffe sei auch für Vereinsmitglieder lang, sagt Andreas Lechermann. „Es braucht mindestens ein Jahr Vorlauf. Wenn der Schützenmeister sein Okay gibt, kann man zum Landratsamt gehen und den Antrag für eine Waffenbesitzkarte stellen.“ Bis die genehmigt wird, können Monate vergehen. Die Behörden holen Stellungnahmen des Landeskriminalamtes, Auskünfte aus dem Bundeszentralregister und einem Register der Staatsanwaltschaften ein. Selbst Jugendstrafen werden überprüft. „Taten wie diese werden mit Waffen aus dem Darknet begangen“, sagt Lechermann. „Dass die so einfach zu beschaffen sind, ist das eigentliche Problem. Dagegen muss man vorgehen.“
Auch Helmut Fischer betont, dass Tobias R. in Hanau keine Sportschützenwaffe verwendet hat. Fischer ist der Präsident und 1. Schützenmeister der „Königlich Privilegierten Hauptschützengesellschaft München 1406“, in der R. von 2014 bis Ende 2019 Mitglied war. Bis vor zwei Jahren lebte R. im Münchner Stadtteil Obermenzing, war Kundenberater für ein Online-Vergleichsportal. So richtig könne sich keiner an Tobias R. erinnern, sagte Fischer dem „Spiegel“. Der Todesschütze von Hanau sei ein Einzelgänger gewesen, er selbst sei ihm nie begegnet.