Unser täglich Brot im Müll

von Redaktion

VON CAROLIN GISSIBL

Kempten/Sonthofen/Fürstenfeldbruck – In einer halben Stunde geht es los. Schon jetzt warten mehr als ein Duzend Menschen vor der verschlossenen Tür. Eine Rentnerin reiht sich mit ihrem Rollator zwischen Studenten, Arbeitssuchende und Berufstätige, die gerade von der Arbeit kommen. Im schmalen Ankergässele in der Innenstadt von Kempten sind alle gewappnet: mit Tüten, Rucksäcken oder Einkaufstrolleys.

Hinter der Tür schichten freiwillige Helfer Semmeln, Brot, Gebäck und Kuchen in eine Bäckereitheke. Der Raum erinnert an einen Tante-Emma-Laden. Auf einem Tisch türmen sich Teepackungen, Päckchen mit Maultaschen, Soja-Mehl oder Bio-Fruchtjoghurts. In Körben daneben liegen frische Salatköpfe vom Wochenmarkt, Tomaten, Champignons, Paprika, Weintrauben und weiteres Obst und Gemüse. Die Gefriertruhen sind ebenso gefüllt wie die drei mannshohen Kühlschränke. Heute mit einer Delikatesse: Wachteleier. Preis: kostenlos.

„Uns geht es darum, dass die Lebensmittel nicht in der Tonne landen“, sagt Manfred Bauerfeind. Seit 2013 engagiert sich der 69-Jährige in der Foodsharing Community, einer Initiative, die sich bundesweit gegen Lebensmittelverschwendung einsetzt. In Bayern gibt es knapp 50 solcher Läden, die sich „FairTeiler“ nennen. Im Kemptener Team arbeiten 40 Ehrenamtliche aus Deutschland, Russland, Polen, Armenien und weiteren Ländern.

Manche der „Foodsaver“, wie sie sich bezeichnen, fahren mit ihren Privatautos, um die Lebensmittel bei den 39 Lieferanten in der Region abzuholen – darunter Bäckereien, Kantinen, Bauernhöfe, Supermärkte, Biomärkte. „Vergangenen Monat hat eine Bäckerei 800 Krapfen gespendet“, sagt Bauerfeind. „Je nach Tag erhalten wir zwischen 300 bis 500 Kilo Lebensmittel.“ Essen, das sonst weggeworfen werden würde, weil es übrig ist oder nicht mehr frisch aussieht.

Rund zwölf Millionen Tonnen Lebensmittel landen in Deutschland jährlich im Müll. Diese Zahl nennt das Bundesernährungsministerium. Um der Lebensmittelverschwendung etwas entgegen zu setzen, hat ein Bistro aus Sonthofen (Landkreis Oberallgäu) ein sogenanntes Restefest eingeführt. „Wenn Essen übrig bleibt, bieten wir es am nächsten Tag vergünstigt an. Heute gibt es Biergulasch mit Semmelknödeln“, sagt Inhaber Daniel Masaku. Je nach Gericht liegt der Preis zwischen 4,50 und sechs Euro – ein Nullsummenspiel, aber das sei besser als der Mülleimer.

Rund 700 Konditoreien, Restaurants, Hotels und ähnliche Betriebe in Bayern bieten ihre Lebensmittel auf der App „Too Good To Go“ an – auf Deutsch: „Zu gut zum Wegwerfen“. Mit dem Smartphone können Kunden filtern, worauf sie Hunger haben und einen Laden in der Umgebung mit „verfügbaren Mahlzeiten“ suchen. In einer vereinbarten Zeitspanne kann das Essen abgeholt werden. „Wir haben in ganz Deutschland etwa 3,4 Millionen Portionen gerettet seit dem Start im Jahr 2016. Das entspricht einer ungefähren CO2-Einsparung von rund 8300 Tonnen“, sagt Pressesprecherin Victoria Prillmann. In der Community seien aktuell bundesweit mehr als drei Millionen sogenannte Waste-Warriors.

In Filialen der oberbayerischen Supermarktkette Amper-Einkaufszentrum stehen hinter den Kassen Regale, gefüllt mit kostenlosem Essen. „Die Ware läuft bald ab oder hat leichte Schäden, ist aber zu schade, um sie wegzuwerfen – zum Beispiel Bananen mit braunen Flecken“, sagt André Hordt, Marktleiter der Filiale Buchenau in Fürstenfeldbruck. Seit der Einführung im Jahr 2017 seien die Müllentsorgungskosten des Unternehmens drastisch gesunken. Ein anderer Teil der Ware werde regelmäßig zur Tafel gebracht. In Bayern gibt es rund 170 Tafeln. Im Gegensatz zum Foodsharing muss eine geringe Gebühr gezahlt werden und die Lebensmittel werden oft ausschließlich an sozial und wirtschaftlich Benachteiligte verteilt. Die Lebensmittelretter von Foodsharing wollen keine Konkurrenz zu den Tafeln sein und nehmen zum Beispiel belegte Brote an, die die Tafeln nicht annehmen dürfen.

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