NACHGEFRAGT...

„Das überstehen wir“

von Redaktion

Zehn Minuten, nachdem er die folgenschwere E-Mail an alle Beteiligten der Oberammergauer Passionsspiele verschickt hat, findet Christian Stückl Zeit für dieses Gespräch. Gefasst wirkt der 58-jährige Spielleiter. Dass er den Schock der Absage noch längst nicht verdaut hat, merkt man ihm trotzdem an.

Wie plötzlich kam diese Absage?

Noch vor zwei Tagen haben wir an alle Mitwirkenden geschrieben und signalisiert: Wir halten durch. Dann gab es erste Gespräche mit dem Landratsamt und dem Gesundheitsamt, als Bedenken laut wurden. Vor der Gemeinderatssitzung am Mittwochabend kam der Bescheid, dass die Passionsspiele abgesagt werden müssen. Ein neuer Premierentermin steht auch schon fest, es ist der 21. Mai 2022. Wir müssen 450 000 Karten rückabwickeln und einen neuen Vorverkauf starten, das hätten wir früher nicht geschafft.

Und wie frustriert ist man als Spielleiter jetzt?

Mir geht es nicht so gut. Die Stimmung ist am Hund. Andererseits verstehe ich die Bedenken. Aber die Situation ist furchtbar für viele – für die Mitspieler, die zum Teil unbezahlten Urlaub genommen haben und jetzt zurück in einen Beruf müssen, den sie wegen der Corona-Krise vielleicht gar nicht mehr ausüben können. Sie ist auch schlecht für die Geschäftsleute in der Gegend und für die Hoteliers. Zwischendurch denke ich mir, dass man alles aus der Sicht eines Intendanten einfach als Aufführungsverschiebung nehmen sollte – so schwer das auch ist. Aber mei, dann gehen jetzt halt alle zum Friseur und lassen sich 2021 wieder die Haare wachsen.

Bleibt es bei der 2020er-Besetzung?

Von meiner Seite aus ja. Die Leute haben sich alle dermaßen reingehängt, das ist also eine Selbstverständlichkeit. Höchstens, es sagt einer, er kann 2022 nicht – aus Arbeitsgründen oder wegen anderer Dinge.

Wie geht es jetzt weiter?

Wir werden dieses Jahr nichts mehr proben. Es gibt nur Vorarbeiten, damit das Bühnenbild fertig werden kann. Dann gehen wir ein Jahr in die Pause.

Die Passion ist aufgrund eines Pestgelübdes entstanden, jetzt die Absage wegen einer Pandemie – ein merkwürdiges Zusammentreffen.

Das stimmt. Auch wenn man bedenkt, dass die Spiele vor genau hundert Jahren wegen des Ersten Weltkriegs und der Spanischen Grippe abgesagt werden mussten. Aber schauen Sie: Im Zeitalter der Aufklärung wurden seinerzeit die Passionsspiele verboten – sie haben überlebt. 1870 kam der Sprecher des Prologs auf die Bühne und sagte, der deutsch-französische Krieg sei ausgebrochen – und 1871 wurde weitergemacht. Wegen des Ersten Weltkriegs musste abgesagt werden – auch das haben wir überstanden. Das zeichnet uns Oberammergauer eben aus: Wir haben immer weitergemacht. Wir müssen aufpassen, dass wir jetzt nicht in totale Traurigkeit verfallen. Also schauen wir jetzt nach vorn.

Interview: Markus Thiel

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