„Das muss ich erst verdauen“

von Redaktion

WAHLNACHLESE Jede Unterschrift zählte – Wie Ruth Frank Bürgermeisterin wurde

VON BEATRICE OSSBERGER

Breitbrunn – Die Kommunalwahl ist eine Woche her, aber fassen kann Ruth Frank ihr Wahlergebnis immer noch nicht. „Es ist so unglaublich, dass ich bestimmt noch ein paar Tage brauchen werde, bis ich das verdaut habe“, sagt sie und lacht. Mit 70,4 Prozent wurde Ruth Frank vor einer Woche zur Bürgermeisterin von Breitbrunn, einem 1000-Seelendorf im unterfränkischen Landkreis Haßberge, gekürt. Dabei war die parteilose 51-Jährige für die Wahl nicht einmal nominiert und stand folglich auch nicht auf dem Wahlzettel.

Die Geschichte zu dieser kuriosen Wahl beginnt einige Monate zuvor. Gertrud Bühl (69, FW), seit zwölf Jahren als Bürgermeisterin im Amt, will aus Altersgründen nicht mehr antreten. Zunächst ist ein Nachfolger gefunden, doch der muss kurzfristig krankheitsbedingt wieder absagen. Die Bürgermeisterin startet einen Aufruf. Niemand meldet sich, bald ist Breitbrunn als der Ort bekannt, in dem niemand Bürgermeister werden will. Im Januar berichtet das Radio. Eine, die zuhört, ist Ruth Frank. Die Verwaltungswirtin und Heilpraktikerin für Psychotherapie ist vor 15 Jahren nach Breitbrunn gezogen. Mit Mann und Kind bewohnt sie einen Pferdehof außerhalb der Gemeinde. „Ich habe anfangs die Suche nach einem Bürgermeister-Kandidaten nur am Rande verfolgt“, sagt sie. „Wirklich aufmerksam wurde ich erst durch den Bericht im Radio.“ Wie es der Zufall will, telefoniert sie noch am gleichen Tag mit der Bürgermeisterin Gertrud Bühl. Es geht um eine notwendige Reparatur für den Kindergarten-Bus, aber bei diesem Gespräch, erinnert sich Frank, habe sie der Bürgermeisterin gesagt, dass sie doch ihre Nachfolgerin werden könne. „Das war zu diesem Zeitpunkt aber eher spaßig gemeint“, sagt Frank. In den kommenden zwei Wochen lässt sie der Gedanke dennoch nicht mehr los. Frank hat vier Kinder, drei erwachsene Töchter und einen zwölfjährigen Sohn. Vor einem Jahr hat sie sich beruflich selbstständig gemacht und eine Praxis eröffnet. Eigentlich hat sie genug zu tun. „Doch je länger ich nachgedacht habe, desto sicherer wurde ich“, sagt Frank. „Wenn mich die Breitbrunner wählen, dann mache das.“ Doch jetzt gibt es ein Problem. Die Nominierungsfrist ist verstrichen. Der Wahlzettel für die Bürgermeister-Wahl in Breitbrunn bleibt deshalb leer.

Damit Breitbrunn doch noch einen Bürgermeister bekommt, müssen die Wahlberechtigten den Namen der einzigen Kandidatin auf den Wahlzettel schreiben. Entfallen mehr als die Hälfte der Stimmen auf Frank, gilt sie als gewählt, auch wenn sie zuvor nicht nominiert worden war. Ruth Frank ist in der Gemeinde aktiv, sie engagiert sich beim Bürgerdienst und im Generationencafé und spielt Saxophon in der Blaskapelle. „Aber natürlich gab es noch viele Menschen, die mich nicht kannten“, sagt sie. Viel Zeit für einen Wahlkampf hat sie nicht. „Es gab eine Info-Veranstaltung, auf der ich mich vorgestellt habe“, sagt sie, „außerdem habe ich Flyer verteilt. Das war’s.“ Sehr nervös sei sie am Wahltag zur Wahl gegangen, sagt sie. „Den ganzen Tag habe ich nichts auf die Reihe gebracht.“

Erst um 22 Uhr kann sie durchatmen. Zu diesem Zeitpunkt steht fest, dass sie mehr als die Hälfte der Stimmen bekommen hat. Sie ist gewählt, gefeiert hat sie aber nicht. „Ich war so müde, dass ich sofort ins Bett gefallen bin.“ Tags darauf fährt sie ins Rathaus und nimmt die Wahl an. „Es fühlt sich gut an“, sagt sie jetzt, eine gute Woche später, auch weil sie seitdem viele Briefe, Postkarten und Anrufe von den Breitbrunnern erhalten habe, die ihr gratulierten. Ihre Praxis wird sie weiterführen, aber nur noch im Nebenjob. „Hauptberuflich bin ich ab jetzt Bürgermeisterin.“

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