MASSGESCHNEIDERT

Vom Wetzstein trennen?

von Redaktion

Mir ham dahoam an oidn Wetzstoa, da Vadda sagt, mir soitnan wegdoa, de Muadda sagt, mir soitnan bhoitn, den Wetzstoa, den oidn… Das alte Volkslied sagt aus, was uns alle hin und wieder bewegt: sollen wir dieses oder jenes ausgediente Trumm in der Schublade, im Kasten, in einer Speicherkiste weiterhin aufbewahren, für nix und wieder nix, oder es endlich wegdoa oder wie man heute sagt, entsorgen? Der Wetzstoa, ein Symbol fürs Hin- und Hergerissensein, wobei das Behalten meistens obsiegt.

Auch der Maßschneider braucht bloß eine gewisse Schublade aufzuziehen und schon hat er ein paar Utensilien in der Hand, von denen diesmal d’Muadda (seiner Kinder) schon wiederholt gesagt hat, er solle sie endlich wegdoa, was der Vadda aber stets kategorisch ablehnt.

Da hätten wir gleich einmal einen sehr handlichen, vom Großvater überkommenen Gummiknüppel mit Lederschlaufe, der immer noch ganz schön „ziahgt“, aber heute wohl einen Einbrecher so zum Lachen brächte, dass ihn der Maßschneider mühelos überwältigen und der Polizei übergeben könnte. Warum also aussondern? Dann eine schön gefasste Spielhahnfeder, mit denen sich Trachtenhüten ein Hauch von Wildschütz Jennerwein verpassen lässt. Scheut der Maßschneider etwa den Förster vom SilberwaId?

Jedenfalls dämmert besagte Feder schon seit Jahrzehnten in der Tristesse der finsteren Schublade vor sich hin, anstatt auf freier Wildbahn aufzutrumpfen. Aber sie deshalb einfach in die Mülltonne versenken? Ja wo samma denn! Was er nun aus der Schublade herausgrapscht, das sind kleine Erinnerungsstücke an seinen Vater. Zunächst ein paar Fahrradspangen, mit denen man früher die Hosenbeine zusammenklammerte, um sie vor Schmutz und Kettenfett zu schützen. Immer, wenn „da Babba“ ins Geschäft geradelt ist, haben sie gute Dienste geleistet.

Weiter ein alter Rasierpinsel, mit dem auch der Maßschneider noch Jahre lang Rasierseife auf den Wangen zum Schäumen brachte und schließlich ein wahrhaft seltsames Mini-Gerät, wie es wohl nicht einmal das Deutsche Museum besitzt: einen Hutträger – eine kleine Klemme aus Metall mit einem Lederfortsatz mit Knopfloch. Wenn einem ehedem beim Wandern oder Spazierengehen am Sonntag der Hut zu warm oder lästig wurde, klemmte man ihn mit der Krempe einfach in den Halter und stülpte diesen über einen Joppenknopf, worauf man befreit, und ungestört fürbaß schreiten konnte. Diese ebenso einfache wie praktische Erfindung hat nicht mehr als ein Zehnerl gekostet. Wenn sie der Maßschneider auch nie benützen wird, Hausrecht in seiner Schublade wird er ihr auf unbegrenzte Zeit gewähren.

Auch droben am Speicher könnte er sich fragen, warum er eine vergilbte deutsche Grammatik, einen zerlesenen Katechismus mit farbigen Bildern, ein Dutzend vergilbte Schulhefte mit Aufsätzen und Rechenhausaufgaben samt üblen Randbemerkungen des Lehrkörpers nicht endlich zum Papier-Container trägt. Und er müsste antworten: aus sentimentaler Solidarität zu seiner Jugendzeit, aus nostalgischer Restebewahrung. Manchmal bedauert der Maßschneider sogar, keinen Wetzstoa mehr zu besitzen. In der elterlichen Wohnung lag immer einer in der Schublade neben dem Besteck. So musste man nicht lang auf den Scherenschleifer warten, wenn schneidendes Gerät stumpf geworden war. Man zog den Wetzstein heraus und wetzte inbrünstig.

Eigentlich sagt das Lied vom Wetzstoa nur die halbe Wahrheit. Denn genauso oft wie da Vadda fürs Wegdoa und die Muadda fürs Behalten ist, protestiert umgekehrt da Vadda, wenn die Muadda ausmustern will. Womit sich die Ehe wieder einmal als das erweist, was sie ja auch sein soll: eine voll funktionierende Werte-Erhaltungs-Gemeinschaft!

An dieser Stelle schreibt unser Turmschreiber

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