„Oh, du schönes Bayernland“ – möchte man rufen, wenn man bei traumhaftem Wetter, ungetrübter Fernsicht mit Blick auf die malerische Gebirgskulisse durch das wunderschöne Oberland fährt. Die Kirche ist noch mitten im Dorf, daneben die einladende Gastwirtschaft, der Dorfbäcker und der Metzger. Die Bauern heuen bei sengender Hitze und die Kühe stehen auf den satten Weiden, oder liegen entspannt und widerkäuend im Schatten alter Bäume.
Aber ist das wirklich noch so oder entspringt diese Beschreibung der Fantasie eines Touristikunternehmens, das natürlich bevorzugt die städtische Bevölkerung ansprechen möchte? Die Bilder zumindest suggerieren, dass alles in bester Ordnung ist.
Vieles, was idealisiert vom Städter erwartet wird, wenn er an das Land vor den Stadtmauern denkt und sich in erstaunlichem, wetter- und stimmungsbedingtem Wechsel nach Wildnis, Golfplatz, Bade- oder Seenlandschaft oder aber nach beschaulichen Spaziergängen und Wanderungen durch unberührte Natur sehnt, stellt sich in der Realität doch völlig anders dar!
Mit Ausnahme seiner beachtlichen Naturschutzgebiete ist Bayern geprägt von seiner – Gott sei Dank – weitgehendst noch kleinbäuerlich strukturierten Kulturlandschaft. Das Aushängeschild des Oberlandes! Nun soll, so der Wunsch der Allgemeinheit, der ich mich gerne anschließe, die Landwirtschaft auch weiterhin möglichst klein strukturiert bleiben; nur sollte bei diesem frommen Wunsch natürlich auch sichergestellt werden, dass die Bauern für ihre harte Arbeit auch fair honoriert werden. Aber ist das so?
Werden nicht Lebensmittel unter der Vorgabe „billig“ bei Discountern und Supermärkten verramscht? Ist der „mündige Verbraucher“ wirklich so mündig, dass er seinen Forderungen nach Tierwohl und Regionalität auch Taten folgen lässt, selbst wenn hier ein höherer, aber dann auch angemessener Preis zu entrichten ist?
Das bäuerliche Höfesterben hat über die letzten Jahrzehnte eine erschütternde Dimension erreicht. In dem von mir mehr als drei Jahrzehnte als Amtstierarzt betreuten Landkreis Weilheim-Schongau haben etwa 1000 von vormals 2200 Milchviehhaltern aufgeben müssen. Dass sich im Oberland diesbezüglich aktuell eine gewisse Beruhigung eingestellt hat, liegt daran, dass die sogenannten Nebenerwerbslandwirte zunehmend ganztägig arbeiten und morgens und abends zusätzlich die Stallarbeit erledigen.
Unter Tags sind deshalb häufig nur mehr engagierte, aber oft hochbetagte Omas und Opas auf den Höfen anzutreffen. Das Wochenende gehört dann natürlich wieder ganz dem landwirtschaftlichen Betrieb. Pro Woche sind so häufig 60 und mehr Arbeitsstunden zu leisten, den Stundenlohn will keiner mehr ausrechnen und das im Nebenerwerb verdiente Geld wird zusätzlich noch in den Betrieb gesteckt.
Das bei Städtern angestrebte Ziel einer „Work-Life-Balance“ ist bei diesen hohen Arbeitsbelastungen weder erreichbar, noch kennen unsere Bauern diesen Begriff überhaupt!
Auch die Erwartungen des Städters aus der sicheren Obhut einer vom Hausmeister gepflegten Wohneinheit heraus, dass dort „draußen“ in der vermeintlichen Wildnis Wölfe, Bären, Biber, Otter oder Luchse in großer Zahl wieder heimisch werden sollen, lösen bei der ländlichen Bevölkerung nur mehr Kopfschütteln, aber auch zunehmend Protest aus. Diese Wildtiere mögen in Naturschutzgebieten eine Heimat finden, in die bäuerliche Kulturlandschaft mit ihren Nutztierhaltungen passen sie nicht hinein.
Einerseits erwartet der tierschutzbewusste Verbraucher die Weidehaltung von Rindern und Schafen, andererseits spielt es offensichtlich keine Rolle, wenn diese Tiere gerissen werden. Das Tierschutzgesetz beinhaltet aber letztendlich den Schutz aller Wirbeltiere! Vom wirtschaftlichen Schaden einmal ganz abgesehen, hängen auch unsere Landwirte und gerade die der kleineren Betriebe an ihren Tieren. Wie bitte also soll ein Zusammenleben von Wolf und Weidevieh im nicht zu sichernden Almbetrieb funktionieren?
Wenig bekannt scheinen auch die Schäden zu sein, die Biber, Otter und Kormorane in bayerischen Teichwirtschaften verursachen und bereits viele Teichwirte veranlasst haben aufzugeben. Es ist noch nicht lange her, da wurde angesichts der Bevölkerungsexplosion behauptet, die Ernährung der Menschheit maßgeblich aus den Meeren heraus sicherstellen zu können. Angesichts der Entwicklung der Meere zu Müllhalden und Millionen von Tonnen Plastik sind diese vollmundigen Ankündigungen kaum mehr zu hören.
Wäre es daher nicht viel vernünftiger, auch die Sorgen der Teichwirte ernst zu nehmen und dem Aufwuchs von Fischen (auch das sind Wirbeltiere) durch Reduzierung der Feinde ihres Lebensumfeldes eine Chance zu geben? Die Versorgung der Verbraucher mit Fisch aus der heimischen Teichwirtschaft wird künftig wohl eine größere Rolle spielen. Wenn aber Teichanlagen von resignierenden Teichwirten einplaniert werden, um sie anderweitig landwirtschaftlich zu nutzen oder brachliegen zu lassen, wird der Leidtragende langfristig der Verbraucher sein.
Beispiele dieser Art ließen sich leider beliebig fortsetzen. Nur müssen wir uns grundsätzlich darüber im Klaren sein, dass Paragraf 1 des Tierschutzgesetzes zwar festhält, dass niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen darf, aber, wenn wir nicht bereit sind, uns zu Veganern bekehren zu lassen, dieser vernünftige Grund bei Einhaltung vorgegebener Haltungsbedingungen (Paragraf 2) vorrangig in der Versorgung des Verbrauchers mit tierischen Produkten zu sehen ist.
Es geht meiner Meinung nach also zunehmend darum, in gegenseitig wertschätzender Kommunikation die leider vorherrschende Sprachlosigkeit zwischen Stadt- und Landbevölkerung zu überwinden. Beide Seiten werden sich aufeinander zu bewegen müssen. Vonseiten der Landwirte weiß ich, dass viele bereit sind, interessierten Menschen auf ihren Betrieben die Hintergründe der Nutztierhaltung, der Fütterung, der Haltungssysteme usw. zu erklären. Diese Angebote sollte man aufgreifen.
Hinweis
Der Gastbeitrag entstand, bevor sich die Coronakrise auch in Bayern zugespitzt hat. Der Beitrag ist nach Ansicht der Redaktion aber unverändert aktuell.