Penzberg/München – Ostern ohne Gottesdienste war für die Christen eine Herausforderung. Die Muslime stehen nun ebenfalls vor einer: Morgen Abend beginnt der Fastenmonat Ramadan, doch die Moscheen sind geschlossen. Der Penzberger Imam Benjamin Idriz, Vorsitzender des Münchner Forums Islam, verrät, wie die Muslime ihr wichtigstes Fest begehen werden – und was die positiven Seiten des Ramadans zu Corona-Zeiten sein könnten.
Wie schwer ist es für die Imame, den Gläubigen die Einschränkungen durch Corona zu vermitteln?
Es war am Anfang nicht einfach zu erklären, dass die Moscheen ihre Türen schließen werden, dass das Freitagsgebet nicht mehr stattfindet. Aber wir hatten alle die Hoffnung, dass sie bis zum Ramadan wieder geöffnet sein werden. Nun werden wir den Ramadan zum ersten Mal in der langen Geschichte des Islams nicht in den Moscheen feiern – sondern individuell, zu Hause in den Familien.
Wie gehen die Gläubigen damit um? Haben sie Verständnis?
Ja, sie achten die neuen Regeln. Der Islam lehrt, dass die Gesundheit Priorität hat. Um sie zu bewahren, müssen religiöse Praktiken nun in den Hintergrund rücken. Meine Botschaft ist: Gott ist überall, nicht nur in den Moscheen. Dieses Jahr sollten wir unsere Häuser in Gebetsorte verwandeln – das ist ein Teil des Korans, den wir nun mehr denn je umsetzen können.
Welche Rituale sind dieses Jahr gar nicht oder nur eingeschränkt möglich?
Normalerweise finden in den Moscheen das gemeinsame Iftar-Essen zum abendlichen Fastenbrechen statt. Anschließend gibt es immer das besondere Nachtgebet, das sogenannte Tarawih-Gebet, sowie die gemeinsame Koran-Rezitation. All das kann es dieses Jahr nicht geben. Wir versuchen, einiges online aufzufangen. Das ist eine große Herausforderung. Das Nachtgebet zum Beispiel setzt eine körperliche Anwesenheit voraus. Da gibt es keine Alternativen. Auch die Spiritualität und das Gemeinschaftsgefühl lassen sich über das Internet nicht vermitteln. Viele Ältere tun sich sowieso schwer mit Online-Alternativen. Es könnte aber auch sein, dass der Ramadan dieses Jahr eine neue, positive Seite hat.
Welche?
Es wird nicht nur um den Verzicht auf Essen und Trinken gehen. Auch das Gewohnte fällt weg. Dafür bekommen die Familien eine viel größere Bedeutung. Und auch die individuelle Beziehung zu Gott wird sich für viele durch die Corona-Krise vielleicht verfestigen. Ich könnte mir vorstellen, dass wir uns nächstes Jahr an diesen Ramadan erinnern und die schönen Seiten vermissen werden. Die intensive Zeit in den Familien zum Beispiel. Wie schön war es gemeinsam zu kochen und zu beten. Meine Botschaft lautet: Seid positiv.
Trotzdem werden die Imame besonders gefordert.
Natürlich schauen alle Gläubigen jetzt auf uns, auf das, was wir anbieten. Wir tauschen uns untereinander aus. Ich werde dieses Jahr die Mukabala, die Koranrezitation, online anbieten und jeden Tag um 16.30 Uhr damit beginnen.
Wie könnten Gebete in den Moscheen möglich sein, wenn es Anfang Mai Lockerungen geben sollte?
Konkret müssen wir das Anfang Mai entscheiden. In der Penzberger Moschee überlegen wir, individuelle Gebete mit ausreichendem Abstand zu ermöglichen. Der Aufenthalt wäre auf 30 Minuten beschränkt, es dürften sich maximal 20 Personen gleichzeitig in der Moschee aufhalten, alle müssten ihre eigenen Gebetsteppiche mitbringen, es wird Desinfektionsmittel und Mundschutz geben. Auch die rituelle Waschung müsste zu Hause erfolgen. Aber es wird noch lange dauern, bis wieder gemeinsame Gebete möglich sind.
Tauschen sich die Imame auch mit Pfarrern aus?
Ja, natürlich. Wie die Christen Ostern gefeiert haben, kann für uns ein Beispiel sein.
Wie schwer ist es für Sie als Imam, nicht in direktem Kontakt zu Gläubigen sein zu können?
Es ist sehr schwer. Ich versuche, vor allem Alleinstehende telefonisch zu unterstützen, für die die Zeit gerade besonders schwer ist. Sie vermissen die Moschee und die gemeinschaftliche Atmosphäre. Sie müssen Gott nun zu Hause stärker spüren.
Sie haben an den Ministerpräsidenten einen Brief geschrieben. Was erwarten Sie von der Politik?
Die Politik sollte wissen, dass wir von Anfang an die Regeln geachtet und umgesetzt haben. Wenn es eine Lockerung geben wird, sollten auch Moscheen und Synagogen einbezogen werden. Es darf keine Unterschiede zwischen den Religionsgemeinschaften geben. Es wäre schön, wenn im bayerischen Fernsehen wie an Ostern auch Gottesdienste für die Muslime übertragen werden würden. Zum Beispiel am 19. Mai, der wichtigsten Nacht für die Muslime im ganzen Jahr. Oder zum Fest am Ende des Ramadans am 24. Mai. Die Corona-Krise könnte alle Religionsgemeinschaften enger zusammenbringen. Wir haben doch alle dieselben Sorgen, stehen vor den selben Herausforderungen. Die Krise ist eine Chance, näher zusammenzurücken.
Interview: Katrin Woitsch