„Da herrscht der Mantel des Schweigens“

von Redaktion

SERIE KRIEGSENDE Max Kronawitter über seinen Film zum Todesmarsch – der nun nicht gezeigt wird

Zum 75. Mal jährt sich heuer der Todesmarsch von KZ-Häftlingen. Ende April wurden tausende ausgemergelte Häftlinge aus den KZ Landsberg/Kaufering zunächst Richtung Dachau getrieben, danach zusammen mit Dachauer Häftlingen weiter in Richtung Süden – bis hinter Bad Tölz. Der Filmproduzent Max Kronawitter aus Eurasburg (bei Wolfratshausen) hat den Marsch in einem Film dokumentiert – ein Film, dessen Premiere jetzt wegen der Corona-Krise zunächst ausfällt. Dazu ein Gespräch.

Gerät der Todesmarsch in Oberbayern in Vergessenheit?

Ich wohne seit 20 Jahren in einer Gegend, wo man immer wieder auf die Mahnmale des Todesmarsches trifft. Dennoch bin ich immer wieder erstaunt, wie wenig diese Geschichte im Bewusstsein ist. Ein Anliegen des Filmes ist es deshalb, zu erzählen, was damals passiert ist. Ältere, die sich noch daran erinnern, reden nicht gerne darüber. Da herrscht der Mantel des Schweigens.

Nach 75 Jahren noch Schweigen?

Ja. Ein Grund könnte sein, dass manche die Häftlinge ja nicht bloß als Opfer erlebt haben, sondern auch – ich nenne es jetzt mal so – als Täter. Tausende Fremdarbeiter und KZ-Häftlinge kamen bei Kriegsende frei, es gab danach auch Plünderungen. Das blieb in der Erinnerung der Bevölkerung hängen, dass da welche plündernd von Hof zu Hof gezogen sind. Dass diese Häftlinge ja zuvor unter schrecklichsten Bedingungen durch die Dörfer getrieben worden waren, wurde verdrängt.

Was macht den Todesmarsch so singulär?

Das Besondere ist dieser Wahnsinn am Kriegsende. Die Amerikaner stehen quasi vor der Tür – und was macht man? Man holt diese Menschen aus den Lagern und lässt sie einen qualvollen Marsch antreten, um sie noch mehr zu schikanieren. Jetzt kamen die Gräueltaten der Nazis an der Haustür vorbei – da konnte auch der letzte nicht mehr behaupten, er habe von nichts gewusst.

Sie wurden von zahlreichen Gemeinden finanziell unterstützt. Hat Sie das überrascht?

Zunächst hatte ich Schwierigkeiten für eine Anschubfinanzierung, weil die Förderhöhe der Gemeinden eher gering war. Dafür gab es aber erstaunlich viele Rückmeldungen. Letztlich haben 19 Gemeinden zwischen 300 und 1000 Euro beigesteuert. Auch der Landkreis Starnberg fördert das Projekt. Ein Drittel der Produktionskosten ist so gedeckt. Das hat mich sehr ermutigt.

Sie haben Zeitzeugen interviewt. War es schwierig, sie zum Reden zu bringen?

Ehemalige Häftlinge wie Abba Naor haben bereitwillig erzählt. Auch die Förderer der Todesmarsch-Denkmäler wie der ehemalige Bürgermeister von Gauting, Ekkehard Knobloch, mussten nicht erst überzeugt werden. Bei den Zeitzeugen aus der Bevölkerung war es schwieriger. Ein Gesprächspartner hat als Kind gesehen, wie der Pfarrer von Degerndorf KZ-Häftlinge, die hier erschossen worden waren, beerdigt hat. Ein Bauer aus Bolzwang musste die Leichen auf seinen Anhänger laden – im Film berichtet sein Sohn darüber. Ich bin mit ihm an die Stelle gefahren, wo das geschah. Wenn man die Zeitzeugen mit der Situation konfrontiert, sprudelt manches heraus.

Jetzt ist der Film fertig, aber Sie können ihn wegen Corona nicht zeigen. Was nun?

Das ist sehr traurig. Wir haben bis zuletzt gehofft, aber es geht nicht. Wir visieren nun den Herbst an für die Filmpremiere, eventuell im Umfeld des Gedenktermins an die Reichspogromnacht am 9. November.

Das Gespräch führte Dirk Walter

Ein Filmausschnitt

kann unter www.ikarus-film.de/aktuelles

angesehen werden.

Beachten Sie auch unser Magazin „Besiegt und frei“ zum Kriegsende 1945 in Bayern. Darin auch eine Geschichte über seltene Fotos vom Todesmarsch. Bezug:

www. bavaria-shop.de (7,90 Euro plus Porto).

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