Der Schriftsteller und Pazifist Gustav Landauer (1870-1919), der bei der Niederschlagung der Münchner Räterepublik am 2. Mai 1919 brutal ermordet wurde, war eine schillernde Figur. Er steht wie wohl kein Zweiter für das Zerrbild eines politisierenden Literaten der Schwabinger Boheme, der er tatsächlich aber vor 1918 gar nicht angehört hatte. Sein Einfluss auf die Revolution indes wird überschätzt.
Auch Rita Steininger, Autorin der jüngsten Biografie (erschienen im rührigen Volk Verlag, 18 Euro), unterliegt stellenweise dieser zähen Legende. Schon der Untertitel des schmalen Bandes („Kämpfer für Freiheit und Menschlichkeit“) lässt eine gewisse Verklärung erahnen. Seine Stärke entfaltet das Buch in der Beschreibung des privaten Landauers – seine komplizierten Beziehungen zu Frauen, vor allem zu seiner großen Liebe Hedwig Lachmann. Dazu wertete Rita Steininger eine private Briefsammlung aus.
In der Analyse des politischen Landauers ist das Buch jedoch schwach. In gewisser Weise spinnt die Autorin die Fäden fort, die vor ihr viele geflochten haben, zuletzt etwa der „Spiegel“-Redakteur Volker Weidemann, der die Münchner Revolution als Werk der „Träumer“ („Als Dichter die Macht übernahmen“) abtat. Nach wie vor zu kurz kommt hingegen der reale Anteil einfacher Soldaten und Arbeiter, ohne deren Unterstützung die Revolution binnen Tagen zusammengebrochen wäre.
Aber gut, Gustav Landauer war keine Zentralfigur der Revolution, aber natürlich zusammen mit Kurt Eisner oder Ernst Mühsam gewissermaßen ihr moralisches Aushängeschild. Geboren 1870 in Karlsruhe, wendet er sich als Student in Berlin Anfang der 1890er-Jahre der SPD zu, radikalisiert sich jedoch schnell und wird zum unabhängigen Sozialisten – lange bevor diese Spielart des kompromisslosen Sozialismus dann 1917 als (kurzlebige) Partei ein politischer Faktor wurde. Die schillernde Gedankenwelt Landauers in jener Zeit zu durchleuchten, ist nicht ganz leicht. Landauer verstrickt sich in Theoriedebatten, die nur noch eine radikale Minderheit interessieren. Er versteht sich als Sozialist, strebt also nach Vergemeinschaftung des Eigentums. Er propagiert die Abschaffung des Staates und ist auch Anhänger eines dezidiert gewaltfreien Anarchismus – in Abgrenzung zu jenem primär russischen Anarchismus, der damals vor allem mit Bombenattentaten auf sich aufmerksam machte. Seine Ideen propagiert Landauer auch durch das Schreiben von (damals durchaus erfolgreichen) Theaterstücken.
Bei Kriegsausbruch 1914 ist Landauer, anders als etwa Eisner zu jener Zeit, entschiedener Pazifist und Kriegsgegner der ersten Stunde. Dass er diese Position von Anfang an, selbst in der Auseinandersetzung mit engsten Freunden, kompromisslos vertrat, ist ihm aus heutiger Sicht hoch anzurechnen. Damals wurde er dafür angefeindet.
Als die Revolution am 8./9. November 1918 in München entbrennt, ist Landauer gar nicht in der Stadt. Ihn hat die Spanische Grippe erfasst, fiebernd verfolgt er von seinem Haus in Krumbach aus den Gang der Ereignisse. Eisner holt ihn nach München, Landauer wird verspätet Mitglied im Revolutionären Arbeiterrat, propagiert den Aufbau eines Rätesystems neben – oder anstelle? – des parlamentarischen Systems mit dem Landtag als Gesetzgebungsorgan. Leider arbeitet die Autorin nicht heraus, wie Landauer sich das vorstellte, und ob ihm diese Widersprüche – Räte hier, Landtag dort – überhaupt bewusst waren.
Als sein enger Freund Kurt Eisner am 21. Februar von einem antisemitisch gesinnten Leutnant erschossen wird, ist Landauer wieder in Krumbach – es ist der erste Todestag seiner geliebten Frau Hedwig. Rasch kehrt er nach München zurück. Dort überschlagen sich jetzt die Ereignisse. Der Landtag mit dem neuen Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann flieht nach Bamberg, in München wird Anfang April 1919 die erste Räterepublik ausgerufen. Für kurze Zeit (zwei Wochen) wird Landauer nun „Volksbeauftragter für Volksaufklärung, Unterricht, Wissenschaft, Künste und noch einiges“, wie er sein Aufgabenfeld in einem Brief umreißt. In einem Brief an einen Freund schreibt er: „Läßt man mir ein paar Wochen Zeit, so hoffe ich, etwas zu leisten; aber leicht möglich, dass es nur ein paar Tage sind, und dann war es ein Traum.“
Leider reißt die Autorin die konkreten Zielvorstellungen Landauers hier wieder nur an. Landauer ging es um eine Radikaldemokratisierung der Schulen und Universitäten, doch die Zeit, um so etwas durchzusetzen, war – wie Landauer richtig geahnt hatte – viel zu kurz. Am 1. Mai wird Landauer in Starnberg verhaftet, einen Tag später ermordet ihn eine wütende Soldateska. DIRK WALTER