Mit gemeinsamer Kunst aus der Isolation

von Redaktion

INTERVIEW Zwei Therapeutinnen helfen mit einem Kunstprojekt durch die Corona-Krise

Gilching – Es wurde gemalt, collagiert, gezeichnet und fotografiert. Jeden Tag aufs Neue, seit dem 29. März. Das Besondere daran: Die Mitwirkenden des Sozialkunstprojekts „Art for all at home – gemeinsam kreativ sein“ sitzen getrennt voneinander zu Hause. Was sie an 25 aufeinanderfolgenden Tagen in der Corona-Zeit verband, war ihre schöpferische Arbeit und allmorgendlich ein neuer Gedanke. Diesen Gedanken sollten sie stets mit der künstlerischen Technik, für die sie sich anfangs entschieden haben, auf ein 15 mal 15 Zentimeter großes Stück Papier bringen. Vorgegeben wurde der geistige Impuls von den Initiatorinnen des Projekts, den Kunsttherapeutinnen Andrea Wenger aus Gilching (Landkreis Starnberg) und Beate Hien aus Augsburg. Wir sprachen mit Andrea Wenger über das Sozialkunstprojekt.

Warum heißt es Sozialkunstprojekt?

Weil es eine soziale Angelegenheit ist. Weil es jeder machen kann. Weil es nichts kostet. Und es wird kein Profit daraus geschlagen.

Wie kam es zur Idee?

Es ging mir darum, etwas anzubieten, das viele Leute erreicht. Da ich Kunsttherapeutin bin, ist für mich das kreative Tun gerade in Zeiten von Krisen eine ressourcenorientierte Bewältigungsstrategie. Mir war es wichtig, es für wirklich alle zu öffnen. Es kann jeder teilnehmen, der zu Hause ist.

Worin liegt die positive Kraft?

Das Projekt ermöglicht, Themen aufs Papier zu bringen. Zum Beispiel die Isolation. Da malt zum Beispiel jemand ein Gesicht, das in einer Kapsel eingeschlossen ist. Man kann davon ausgehen, dass alles, was bildlich ausgedrückt wird, für die Gesundheit förderlich ist, weil man es dadurch los wird.

Am wichtigsten für viele Menschen ist ja die Geselligkeit, die nun wegfällt…

Daher haben wir einen Weg des Austauschs ermöglicht. Wir haben eine WhatsApp- und eine Facebook-Gruppe. Dort schreiben die Menschen auch Texte zu den Bildern. Gerade für die, die jetzt alleine zu Hause sind, ist es ein Mittel des Gesehenwerdens und der Kontaktmöglichkeit. Über Bilder in Kontakt zu kommen, ist etwas, das die Kunsttherapie ausmacht. In der normalen Psychotherapie gibt es nur das Gespräch. Bei uns gibt es die Möglichkeit des Bildes. Für alles, was nicht aussprechbar ist – viele Menschen sind nicht so eloquent und manche Dinge sind ihnen vielleicht auch gar nicht bewusst –, ist es ein Kanal. Themen kommen unwillkürlich aufs Bild. Darüber kann man dann gemeinsam sprechen.

Wie viele haben mitgemacht?

Insgesamt etwa 50 Leute. Ich habe all meine persönlichen Kontakte angeschrieben, von denen ich dachte, dass sie davon profitieren würden. Beate Hien hat es genauso gemacht. Das wurde zum Selbstläufer. Plötzlich bekam ich einen Anruf aus Österreich – dort machten auch viele mit. Natürlich waren viele Kunsttherapeuten dabei. Wir haben aber auch ein siebenjähriges Mädchen aus Österreich in der Gruppe. Sie hat uns jeden Tag ein Bild gemalt. Die älteste Teilnehmerin ist 89.

Wie kommen Sie auf die täglichen Impulse?

Manchmal lese ich etwas und komme so auf eine Idee. Auf den Impuls „Wovon braucht die Welt mehr?“ kam ich durch das Thema Gesichtsmasken. Ich dachte mir: Jetzt geht es um die Masken, aber sie decken ja nur das Materielle ab, von dem wir mehr brauchen. Doch da steckt mehr dahinter. Wir brauchen einen größeren Fokus auf die Pflege, wir brauchen mehr Dankbarkeit.

Sie selbst haben dazu das Bild „Samen der Entspannung“ angefertigt. In ihren täglichen Kunstwerken arbeiten Sie mit Fotos aus der Heimatzeitung.

Jeden Morgen beim Kaffee lese ich die Zeitung. Dabei fiel mir auf, dass plötzlich so viele berührende Bilder dort auftauchen. Angefangen hat es mit dem betenden Papst auf dem menschenleeren Petersplatz. Dann gab es das Bild vom Pfarrer, der sich Fotos seiner Gemeindemitglieder schicken ließ und diese ausgedruckt auf die Kirchbänke stellte. Das nahm ich als Vorlage für meine Arbeit „Samen der Gemeinschaft“. Mit all diesen Bildern verbindet man Werte. Werte sind Leitlinien zur Orientierung. Daran kann ich mich hangeln. Es geht darum, Liebe zu leben, Verbundenheit zu leben. Und das gibt wiederum Sicherheit. Daher habe ich mich entschieden, jeden Tag einen Wert für mich zu finden.

Wie geht es nun weiter mit dem Projekt?

Da sind wir noch offen. Entweder wir starten einen neuen Zeitraum. Oder wir stellen das Projekt über Facebook und WhatsApp hinaus der Öffentlichkeit zur Verfügung. Mit einem täglichen, neuen Impuls. Und jeder, der Lust hat, könnte dann mitmachen.

Interview: Katrin Hildebrand

Kontakt zur Gruppe

finden Interessierte auf www.facebook.de – dort nach der Gruppe „Art for all at home“ suchen.

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