München – Gerhard B. (Name geändert) klingt gefasst: „Ohne meinen Psychotherapeuten wäre ich heute nicht da, wo ich bin.“ Für den schwer depressiven und lungenkranken Münchner ist eine regelmäßige Therapie lebensnotwendig. Frische Luft schnappen oder gar seinen Therapeuten sehen – das kann und will B. derzeit nicht. „Eine Corona-Ansteckung wäre für mich als Hochrisikopatienten wahrscheinlich tödlich.“ Also schalten sich er und sein Therapeut jeden Dienstag per Video zusammen.
Gerhard B. wirkt ausgeglichen und ruhig, wenn er über seine aktuelle Situation spricht. Doch das täusche, räumt der 58-Jährige ein. Das Coronavirus und die Ausgangsbeschränkungen hätten sein Leben auf den Kopf gestellt. Natürlich belaste ihn das zusätzlich psychisch; seine Medikation habe er in Absprache mit seinem Therapeuten erhöhen müssen. Auch seine anderen Ärzte, könne er derzeit nicht sehen, dafür halte er Kontakt per Video. Gerhard B. ist heilfroh über diese Alternative.
Die Ausgangsbeschränkungen treffen Menschen mit psychischen Erkrankungen hart. Einzeltherapien gibt es kaum noch, Gruppentherapien schon gar nicht, auch Selbsthilfegruppen pausieren. Alternativen sind Psychotherapie per Video und Telefon. Doch letzteres unterstützen die Krankenkassen nur deutlich eingeschränkt, zum Leidwesen der weniger technikaffinen Klienten. Bei Telefonpsychotherapie werden nur 200 Minuten im Quartal erstattet, also rund eine Stunde im Monat, wie der GKV-Spitzenverband, dem alle gesetzlichen Krankenkassen angehören, bestätigt.
Ludwig Klitzsch, Geschäftsführer des Gesundheitsunternehmens Ideamed mit Sitz in Bad Wiessee, das auch mehrere Zentren mit Schwerpunkt Psychosomatik in München unterhält, findet das unbegreiflich. „In normalen Zeiten würde vieles gegen eine Therapie über Video und Telefon sprechen. Aber wir befinden uns gerade in einer absoluten Krisensituation.“ Ein Drittel seiner insgesamt bis zu 2000 Patienten sei mit der Technik überfordert oder habe keine stabile Internetverbindung. Für sie komme nur das Telefon infrage.
Der GKV-Spitzenverband weist die Kritik zurück. Zwar könnten viele Leistungen per Video und Telefon erbracht werden, „eine vollständige Substitution der zwischenmenschlichen Interaktion ist aber natürlich nicht möglich“, teilt er mit. Die gesetzlichen Krankenkassen gehen davon aus, dass die derzeit angebotenen Behandlungsmöglichkeiten die Versorgung sicherstellten.
Die niedergelassenen Psychotherapeuten hoffen dagegen, dass die Krankenkassen die Telefontherapie doch noch großzügiger handhaben. Denn sie stünden auch vor einem ethischen Problem, sagt Klitzsch. Seine Psychotherapeuten wollten ihre Patienten gerade jetzt nicht alleinlassen und böten mit massiver Vorleistung dennoch Telefontherapie an. Man gehe massiv in Vorleistung. Auf Dauer dürfe man aber vor der Finanzierungsfrage nicht die Augen verschließen. epd