München – Der ehemalige Papst Benedikt XVI. (93) sieht die katholische Kirche und das Papsttum durch eine „weltweite Diktatur von scheinbar humanistischen Ideologien“ bedroht. Wer ihnen widerspreche, werde aus dem gesellschaftlichen Konsens ausgeschlossen. Als Beispiel nannte er die homosexuelle Ehe, die Abtreibung und die „Herstellung von Menschen im Labor“.
Wörtlich erklärte der frühere Papst: „Die moderne Gesellschaft ist dabei, ein antichristliches Credo zu formulieren, dem sich zu widersetzen mit der gesellschaftlichen Exkommunikation bestraft wird.“ Zur Lage der Kirche im 21. Jahrhundert sagte er: „Inzwischen haben die Ereignisse gezeigt, dass die Krise des Glaubens vor allem auch zu einer Krise der christlichen Existenz geführt hat.“
Die kritischen Anmerkungen des zurückgetretenen Papstes bilden das Schlusskapitel der gestern veröffentlichten umfangreichen Benedikt-Biografie von Bestseller-Autor Peter Seewald. Sie stammen nach Angaben des Autors aus dem Herbst 2018 (wir berichteten).
In dem bislang unveröffentlichten Interview enthüllte der 2013 zurückgetretene Pontifex zudem, dass er entgegen früheren Absichten nun doch im Ruhestand ein geistliches Testament verfasst hat. Dieses wird voraussichtlich nach dem Tod von Joseph Ratzinger zugänglich werden. Über den Inhalt machte er keine Andeutungen.
Der frühere Papst hat sich gegen Kritik an seiner Rolle als emeritierter Papst zur Wehr gesetzt. Er dementierte, dass Fälle von Korruption im Vatikan oder der „Vatileaks“-Skandal, bei dem sein Kammerdiener geheime Dokumente an einen Journalisten übergeben hatte, Anlass oder Grund für den kirchengeschichtlich einmaligen Schritt gewesen sei. „Mit alledem hat mein Rücktritt absolut nichts zu tun“, betonte er.
Vielmehr sei ihm gegen Ende seiner Amtszeit klar geworden, dass neben einer möglichen Demenz „auch andere Formen von nicht mehr genügender Fähigkeit zur rechten Amtsführung möglich sind“.
In diesem Zusammenhang enthüllte der frühere Papst, dass er ebenso wie seine Vorgänger Paul VI. und Johannes Paul II. eine bedingte Rücktrittserklärung unterzeichnet habe „für den Fall einer Krankheit, die eine angemessene Ausübung des Amtes unmöglich machte“. Dies habe Joseph Ratzinger bereits „relativ früh“ in seinem 2005 begonnenen Pontifikat getan. Mit seinem Nachfolger Franziskus verbinde ihn eine herzliche Freundschaft, die seit ihrer ersten Begegnung eher gewachsen sei. kna