Suche nach Kriegs-Vermissten endet bald

von Redaktion

Es ist eine Puzzlearbeit: Seit über 70 Jahren forscht der DRK-Suchdienst nach Vermissten des Zweiten Weltkrieges. Doch 2023 wird die Suche eingestellt. Ein bisschen Zeit bleibt Angehörigen aber noch, um Anfragen zu stellen.

VON CLAUDIA SCHURI

München – Wenn im Fernsehen Kriegsheimkehrer aus dem Zweiten Weltkrieg zu sehen waren, musste die Großmutter von Lara Rading auch nach vielen Jahrzehnten noch den Raum verlassen. Zu schmerzhaft war für sie die Frage, was mit ihrem Vater geschehen war. Heinrich Evers galt als „vermisst im Osten 1944“. So stand es auch auf der Anhänger-Rückseite eines Armbands der Großmutter, auf dem alle Familienmitglieder verewigt sind. Vergangenes Jahr nahm sich Lara Rading der Sache an. Die 16-jährige Schülerin stellte eine Anfrage beim Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Bereits ihre Großmutter hatte dort mehrfach nachgefragt, aber ohne Erfolg. „Damals hatten wir kein Datenmaterial“, sagt DRK-Generalsekretär Christian Reuter. Jetzt gab es weitere Akten – und das Schicksal von Heinrich Evers konnte endlich geklärt werden: Er geriet 1944 in Weißrussland in sowjetische Gefangenschaft und starb im März 1945 – er war verhungert in einem Lager in der Ukraine. „Der Fall war auch für uns sehr berührend“, sagt Reuter.

48 Mitarbeiter untersuchen am Standort in München den Verbleib von Vermissten aus dem Zweiten Weltkrieg. Doch Ende 2023 wird die vom Bund finanzierte Aufgabe eingestellt. Das entspricht einer Vereinbarung mit dem Bundesinnenministerium. „Deshalb sollten Anfragen beim DRK-Suchdienst am Standort München in den nächsten anderthalb Jahren gestellt werden“, sagt DRK-Präsidentin Gerda Hasselfeldt. Sie rechnet damit, dass heuer zum 75. Jahrestag des Kriegsendes das Bedürfnis nach Gewissheit bei vielen Familien steigen wird. „Dieses Interesse wird aber aufgrund der demografischen Entwicklung wieder abflachen“, vermutet Hasselfeldt.

Der internationale Suchdienst, an den sich zum Beispiel Flüchtlinge wenden können, die den Kontakt zu ihrer Familie verloren haben, wird nach 2023 weiter fortgesetzt, jedoch in Berlin.

Im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg gab es vergangenes Jahr 10 091 Anfragen an den Suchdienst. „Das Thema beschäftigt viele Familien über Generationen“, sagt Christian Reuter. „Jetzt forschen oft die Enkel oder Urenkel für ihre Eltern oder Großeltern nach.“

In der Namenskartei des Suchdienstes sind 20 Millionen Menschen erfasst. Inzwischen sind viele Daten digitalisiert. „Aber noch immer ist es eine Puzzlearbeit“, sagt Reuter. „Wir versuchen es über alle Kanäle und arbeiten mit den Suchdiensten der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften in anderen Ländern zusammen“, erklärt er. Seit 1992 hat der DRK-Suchdienst auch aus russischen Archiven rund sieben Millionen Akten und Karteikarten zu Kriegsgefangenen und Internierten erhalten.

Millionen von Dokumenten werden in München elektronisch ausgewertet. „Die Akten sind ein Schatz“, sagt Reuter. Es wäre deshalb wichtig, dass das Material zu Forschungszwecken erhalten bliebe. Rund 23 Prozent aller Suchen nach verschollenen Wehrmachtsangehörigen, Kriegsgefangenen oder Zivilisten sind derzeit erfolgreich. „Oft ist es erlösend, endlich Gewissheit zu haben“, sagt Christian Reuter. Auch die Familie von Lara Rading war froh über die Informationen. Der Anhänger am Armband der Großmutter zu Ehren von Heinrich Evers kann eine neue Gravur erhalten: „gestorben am 24.3.1945“.

Suchanfragen

sind noch bis 31.12.2021 möglich. Das Formular gibt es online unter www.drk-suchdienst.de; Telefon: 089/6 80 77 30.

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