München – Es war ein Interview im Radio, das Reiner Pöhlmann zum Nachdenken brachte. In dem Beitrag berichtete ein 70-Jähriger von seiner Corona-Erkrankung und seiner Zeit auf der Intensivstation. Er sei über einen längeren Zeitraum künstlich beatmet worden, erzählte der Mann, der wieder gesund wurde. „Bei der künstlichen Beatmung bin ich hellhörig geworden“, sagt Pöhlmann. Das hat seinen Grund: Der 81-Jährige aus Markt Schwaben (Kreis Ebersberg) und seine 77-jährige Frau haben in ihrer Patientenverfügung eine künstliche Beatmung explizit ausgeschlossen. Angesichts der Tatsache, dass schwer an Covid-19 erkrankte Patienten oftmals beatmet werden müssen, fragen sich die beiden nun, ob sie in Zeiten dieser Pandemie ihre Patientenverfügung nun ändern sollten. Oder ob es ausreicht, dass ihre Kinder Bescheid wissen. „Wir haben ihnen gesagt: Wenn wir an Corona erkranken, dürfen die Ärzte uns künstlich beatmen“, sagt Pöhlmann. „Aber werden die Ärzte das auch akzeptieren, obwohl in unserer Patientenverfügung das genaue Gegenteil steht?“
Reiner Pöhlmann steht mit seinen Fragen nicht alleine da. Verbraucherzentralen, Sozialverbände und Fachanwälte berichten von einem erhöhten Beratungsbedarf zum Thema Patientenverfügung. „Wir haben jetzt ungefähr drei Mal so viele Klienten, die von sich aus das Thema ansprechen, als vor Corona“, sagt der Rechtsanwalt Thomas Fritz, der in München eine Kanzlei für Erbrecht, Vermögensnachfolge und Vorsorgemaßnahmen führt. 43 Prozent der Deutschen hatten 2017 laut einer Umfrage des Hospiz- und Palliativverbandes eine Patientenverfügung. „Nach Corona werden es deutlich mehr sein“, sagt Fritz. „Die Angst, die viele Menschen infolge der Corona-Pandemie verspüren, lässt sie jetzt auch über das eigene Sterben nachdenken.“ Mit einer Patientenverfügung können Erwachsene vorsorglich festlegen, ob und in welchen Situationen bestimmte medizinische Maßnahmen durchgeführt oder unterlassen werden sollen. Oft steht sie im Zusammenhang mit der Frage nach lebensverlängernden Behandlungsmethoden. Die Verfügung gilt für den Fall, dass sich der Verfasser selbst nicht mehr äußern kann, etwa weil er im Koma liegt. Es gibt Standarddokumente für Patientenverfügungen, die sich auch im Internet finden. Experten wie Fritz, aber auch Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, raten davon ab. „Die Anforderungen an praxistaugliche Dokumente sind hoch, schließlich geht es um Leben und Tod“, sagt Brysch. Er empfiehlt dringend eine Beratung, die im Dokument dann auch vermerkt werden sollte. „Das verdeutlicht den behandelnden Ärzten, dass sich jemand ausführlich mit dem Thema auseinandergesetzt und keine leichtfertige Entscheidung getroffen hat“, sagt Brysch. „Präzise und detailliert“ sollte eine Patientenverfügung sein, sagt Fachanwalt Fritz. Wichtig neben der Patientenverfügung sei aber noch ein weiteres Dokument: die Vorsorgevollmacht. „Mit diesem Dokument können Erwachsene einer anderen Person das Recht einräumen, stellvertretend in ihrem Namen zu handeln“, erklärt Fritz. Außerdem erfahren die Bevollmächtigen im Krankenhaus, wie es dem Patienten geht. Das ist nicht selbstverständlich. „ Selbst Ehepartner und Kinder haben kein Auskunftsrecht“, sagt Fritz. „Auch sie benötigen diese Vollmacht.“ Reiner Pöhlmann und seine Frau haben ihre Kinder bevollmächtigt. Der Hausarzt hat sie beraten und ist auch als Kontaktperson genannt. „Die Pöhlmanns haben alles richtig gemacht“, sagt Rechtsanwalt Fritz.
Was nun die Frage wegen der künstlichen Beatmung bei einer Covid-19-Erkrankung angeht, gibt der Anwalt Entwarnung. „Die Patientenverfügung greift nur, wenn der Kranke sich unabwendbar im Sterbeprozess oder im Endstadium einer unheilbaren, tödlichen Krankheit befindet. Beides trifft auf Corona nicht zu“, sagt Fritz. Diese Krankheit habe bei rechtzeitiger Behandlung gute Prognosen. „Das bedeutet“, sagt Fritz, „das Ehepaar würde in jedem Fall alle indizierten medizinischen Therapien erhalten und damit auch eine künstliche Beatmung.“
Dennoch rät Fritz, die Patientenverfügung um einen Corona-Zusatz zu erweitern, um deutlich zu machen, dass im Fall einer Covid-19-Erkrankung eine künstliche Beatmung durchgeführt werden darf. „Auch wenn dieser Zusatz grundsätzlich nicht nötig ist“, sagt Fritz, „schafft er doch Klarheit und Sicherheit für alle Beteiligten.“