Die Stadt-Land-Schere in der Psychotherapie

von Redaktion

VON SEBASTIAN HORSCH

München – Nach Nordrhein-Westfalen ist Bayern das Bundesland mit den meisten Psychotherapeuten. Dem Barmer-Arztreport zufolge ist ihre Zahl im Freistaat von 2009 bis 2018 um 57 Prozent gestiegen – von 1952 auf 3074. Dazu kommen noch Kinder- und Jugendtherapeuten (2018: 894) sowie Ärzte, die zusätzlich psychotherapeutisch tätig sind (2018: 547). Auch die Nachfrage hat deutlich zugenommen. 572 000 Menschen nahmen 2018 in Bayern eine psychotherapeutische Behandlung in Anspruch – also 4,4 Prozent der Bevölkerung. Das ist ein Anstieg um 21 Prozent gegenüber 2009.

Für Barmer-Bayern-Chefin Claudia Wöhler zeigt sich darin eine „Entstigmatisierung“ des Themas. Auch die Einführung der psychotherapeutischen Sprechstunde 2017 sei positiv zu bewerten, denn sie habe den Erstkontakt zu den Therapeuten erleichtert. Deren regionale Verteilung auf den Freistaat ist allerdings äußerst ungleichmäßig. In den Landkreisen Dachau und Starnberg tummeln sich mehr als dreimal so viele Therapeuten, wie laut Versorgungsplanung nötig wären, und auch die Stadt München hat einen Versorgungsgrad von 220 Prozent. Der niederbayerische Landkreis Kelheim kommt hingegen auf nur 81,5 Prozent. Mit anderen Worten: Dort fehlen Psychotherapeuten, die sich vorrangig in denselben – meist städtischen oder stadtnahen – Gebieten niederlassen.

Dazu kommt der schon länger anhaltende Trend zu kürzeren Arbeitszeiten. Psychologische Psychotherapeuten erfüllten 2018 im Schnitt nur 73 Prozent einer Vollzeittätigkeit, 2013 waren es noch 89 Prozent. „Das kann dazu führen, dass in einigen Gebieten die faktische Unterversorgung noch größer ist als die rechnerische“, sagt Kassenchefin Wöhler. Sie findet: „Therapeuten, die in Bayern einen vollen Versorgungsauftrag haben, sollten diesen auch in Vollzeit ausüben.“ Die steigende Zahl der Therapeuten schlage sich sonst nicht spürbar in der Versorgung nieder.

Wie unterschiedlich das Angebot verteilt ist, zeigt sich auch in Oberbayern. Während der Landkreis Dachau bei den Kontakten zu Therapeuten 44 Prozent über dem Bundesschnitt liegt, steht der Landkreis Garmisch-Partenkirchen 32 Prozent darunter. In München werden bayernweit am häufigsten psychotherapeutische Leistungen in Anspruch genommen – von mehr als 81 000 Menschen.

Interessant ist nun natürlich die Frage, ob der Besuch beim Therapeuten den Menschen auch weitergeholfen hat. 89 Prozent der Patienten stimmten zu, dass der Therapeut sich umfassend und individuell mit ihrem Problem befasst hat. Ebenso viele sind auch mit dem Vertrauensverhältnis zufrieden. Doch nur noch 53 Prozent stimmten zu, dass die vom Therapeuten empfohlenen Maßnahmen für sie nachvollziehbar und geeignet waren. Und nur 66 Prozent sind am Ende mit dem Ergebnis der Therapie zufrieden. Jeder Dritte war teilweise oder ganz unzufrieden.

Claudia Wöhler empfiehlt deshalb, die Ziele zu Beginn der Behandlung klar zu formulieren. Sonst könne eine unrealistische Erwartungshaltung entstehen. Auf ihren ersten Termin mussten die meisten Patienten in Bayern übrigens ein bis zwei Wochen warten (32,7 Prozent). Bei sechs Prozent klappte es innerhalb weniger Tage. Zwei bis vier Wochen mussten sich 27,3 Prozent gedulden, vier bis acht Wochen 17,6 Prozent. Wenn es noch länger dauerte, lag laut Barmer in der Regel ein spe¾¾zielles Einzelfall-Problem bei der Terminfindung vor.

Artikel 5 von 11