UNSERE HEIMATSPITZE

Die türkische Sesselträgerzunft

von Redaktion

VON BEZIRKSHEIMATPFLEGER NORBERT GÖTTLER

Normalerweise sind Urlaubszeiten gerne das Startsignal für Spartengewerkschaften wie die Vereinigung Cockpit, die Gewerkschaft der Flugsicherung und die Flugbegleiter-Gewerkschaft UFO, um schön nacheinander ihre Tarifforderungen zu stellen – zum Ärger der betroffenen Reisenden. Wegen des Coronavirus dürften Beschäftigte der Luftfahrtbranche derzeit froh sein, wenn sie ihren Beruf überhaupt weiter ausüben dürfen. Um Gehaltssteigerungen dürfte es also heuer eher nicht gehen.  Tarifverhandlungen gehören natürlich dazu in unserer Gesellschaft – und sind keine Erfindung der Neuzeit. Zu Zeiten, die den Begriff der Einheitsgewerkschaft noch gar nicht kannten, gab es eine Unmenge von unterschiedlichen Berufsvertretungen und Solidargruppen: Messingschlosser und Fassmaler, Kesselflicker und Hufschmiede, Zigarrendreher und Metbrauer, Rotgerber und Kerzenzieher – sie alle gründeten lokale Aktionsbündnisse, um ihren schweren Arbeitsalltag ein wenig zu verbessern.  Geht man noch weiter zurück in Bayerns Geschichte, fällt ein ganz besonders exotisches Aktionsbündnis ins Auge: die türkische Sesselträgerzunft! Max Emanuels erfolgreiche Schlachten gegen die Türken hatten viele osmanische Kriegsgefangene nach Bayern geführt. Sie wurden vor allem als Straßenarbeiter oder Kanalbauer eingesetzt. Allerdings fand es die bayerische Haute Voleé offenbar schick, sich ein paar türkische Diener im Fez zu leisten und sich von ihnen wie ein Pascha durch die dreckigen Straßen tragen zu lassen.  Überraschenderweise ermangelte es den Söhnen des Halbmondes weder am nötigen „Irxenschmoiz“, also Schmalz in den Armen, noch an politischer Solidarität. Jedenfalls verzeichnen die Quellen für das Jahr 1688 in München die Gründung einer „türkischen Sesselträgerzunft“. Gut zehn Jahre behauptete sich diese Mini-Gewerkschaft, dann durfte 1699 die Mehrzahl der Kriegsgefangenen wieder heim.  Einige blieben freiwillig – 1700 waren noch 36 Türken in München gemeldet. Vielleicht waren dies ja die verbliebenen Mitglieder der Sesselträgerzunft, deren Standesehre es verlangte, auch fürderhin für einen schnellen und bequemen Transport zu sorgen. Denken Sie dran, wenn Sie bald wieder am Flughafen auf Ihr Flugzeug oder Ihr Gepäck warten!

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