München – Silke Rauch hat so viel Arbeit, dass sie an manchen Tagen nicht weiß, wie sie das alles schaffen soll. „Ich arbeite doppelt so viel wie vor Corona“, sagt die 54-jährige Inhaberin eines Reisebüros in Mühldorf am Inn. „Trotzdem habe ich null Einnahmen.“ Seit Wochen und bis spät in die Nacht berät Silke Rauch besorgte Kunden. Die meisten stornieren ihre Buchungen, und Rauch ist für die Rückabwicklung zuständig. Geld bekommt sie dafür nicht. Die Mühldorferin hat für sich selbst Hartz-IV beantragt, ihre beiden Mitarbeiterinnen sind seit April in Kurzarbeit. „Es ging nicht anders“, sagt sie. „Sonst hätte ich mein Geschäft, das ich seit fast 30 Jahren führe, zusperren müssen.“
Von der Politik fühlt sich Rauch im Stich gelassen. „Die kümmern sich um die großen Veranstalter, aber uns kleine Unternehmen lassen sie im Stich“, sagt sie. Um auf die Situation der rund 10 000 Reisebüros in Deutschland aufmerksam zu machen, hat sie mit Kollegen und im Verbund mit der bundesweiten Allianz selbstständiger Reiseunternehmen zwei Demonstrationen in München organisiert. Vergangene Woche protestierten 50 Teilnehmer vor der Staatskanzlei. „Es waren nicht mehr zugelassen“, sagt Rauch. „Wir hätten locker 500 zusammengebracht.“
Wut und Sorge in der Branche sind groß. Der Deutsche Reiseverband (DRV) schätzt die Umsatzeinbußen der Tourismus-Branche bis Mitte Juni auf knapp 11 Milliarden Euro. Zwei Drittel der Reisebüros stünden kurz vor der Insolvenz, sagt DRV-Präsident Norbert Fiebig. „Die Situation ist existenzbedrohend“, sagt auch Marija Linnhoff, Präsidentin des Verbands unabhängiger selbstständiger Reisebüros (VUSR). Eine Rolle spielt dabei auch die Thomas-Cook-Pleite im vergangenen Sommer, bei der auch viele Reisebüros viel Geld verloren haben. „Die konnten sich kaum erholen, dann kam Corona“, sagt Linnhoff.
Im Sommer nach Italien? Im Herbst in die USA? Es ist immer noch unklar, wann, in welche Länder und unter welchen Bedingungen Urlaubsreisen ins Ausland wieder möglich sein werden. „Die Unsicherheit zerrt an den Nerven“, sagt Christian Gallist, Chef eines Reisebüros in Oberammergau (Kreis Garmisch-Partenkirchen). „Wir schweben im luftleeren Raum und wissen nicht, wie es weitergehen soll. Umso wichtiger wären jetzt klare Ansagen von der Politik und deutliche Unterstützung.“ Die Branche befände sich im freien Fall. „Ich habe vergangene Woche eine einzige Reise verkauft. Ein Flusskreuzfahrt für das nächste Jahr.“ Lange, sagt der 33-Jährige, würden sie nicht mehr durchhalten. Silke Rauch sagt, sie kenne Kollegen, die hätten schon aufgegeben.
Die Politik hatte, um die Branche zu stützen, zunächst auf ein Gutschein-Konzept gesetzt. Verbraucher sollten ihre Reise nicht stornieren, sondern einen Gutschein der Veranstalter akzeptieren. Ein Problem dabei: Nach jetzigem Recht sind die Gutscheine nicht insolvenzversichert, das heißt im Falle einer Pleite würde der Kunde das volle Risiko tragen. „Diese Idee ist zum Glück vom Tisch“, sagt Linnhoff.
Nach Informationen unserer Zeitung diskutiert die Regierung nun andere Maßnahmen. Dabei geht es auch um einen „Rettungsfonds für besonders krisengebeutelte Unternehmen“ in Höhe von mehreren Milliarden Euro. Gestützt werden sollen unter anderem Reisebüros, Schausteller, Busunternehmer und Event-Veranstalter. Ausgearbeitet hat das Papier, das dem Kabinett vorliegt, der Parlamentskreis Mittelstand (PKM) der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Die finanzielle Hilfe soll vor allem Fixkosten wie Miete, Versicherungsprämien, Darlehen und Leasing abfedern. „Die Hilfe“, heißt es, „soll mit Besserungsschein ausgestellt werden.“ Das bedeutet: Sobald die Geschäfte wieder laufen, müssen die Unternehmen einen festgelegten Prozentsatz des Gewinns dem Staat zurückzahlen. Wie hoch dieser Prozentsatz sein soll, ist noch offen.
VUSR-Präsidentin Linnhoff kennt und unterstützt den Vorschlag. „Ich bin mir sicher, dass wir bis Ende Mai den Rettungsfonds haben“, sagt sie. Alle Reisebüros retten werde dieser Fonds allerdings auch nicht, zumal nur die Unternehmen Hilfen anfordern dürften, die vor Corona schwarze Zahlen geschrieben haben. „Ich glaube“, sagt Linnhoff, „dass am Ende nur 60 Prozent der Reisebüros die Corona-Krise überleben werden.“