Grüner Zündstoff aus Brüssel

von Redaktion

VON DOMINIK GÖTTLER

München/Brüssel – Der „Green New Deal“, mit dem die EU-Kommission ein grüneres Europa schaffen will, nimmt allmählich Formen an. Jetzt hat die Kommission ihre Ziele für die Landwirtschaft in den kommenden zehn Jahren formuliert. Und das Strategiepapier mit dem Titel „Farm-to-Fork“, also vom Hof bis zur Gabel, birgt so manchen agrarpolitischen Zündstoff.

Grundgedanke des Papiers: Die EU soll weltweit zum Vorbild für gesunde, umweltschonende und wirtschaftlich verträgliche Ernährung werden. Die Strategie stehe „für ein neues, harmonischeres Zusammenspiel von Natur, Lebensmittelerzeugung und biologischer Vielfalt“, sagte Frans Timmermans, Vizepräsident der EU-Kommission. Konkret sind in der „Farm-to-Fork“-Strategie ein ganzes Bündel von Zielen formuliert. Der Einsatz von Pestiziden soll bis 2030 halbiert werden. Dazu soll mindestens 20 Prozent weniger Dünger ausgebracht werden – und zwar allgemein, nicht wie jetzt nur in den besonders nitratbelasteten roten Gebieten. Der Einsatz von Antibiotika in Viehzucht und Aquakultur soll um die Hälfte reduziert werden. Und bis 2030 soll ein Viertel der gesamten landwirtschaftlichen Fläche in der EU ökologisch bewirtschaftet werden – etwa dreimal so viel wie aktuell.

Von den Grünen und der SPD im EU-Parlament gibt es viel Lob für den Vorstoß der Kommission. Laute Kritik kommt dagegen vom Bauernverband. „Wir wollen den Weg hin zu einer umweltfreundlichen Landwirtschaft weitergehen und weiterentwickeln“, sagt Präsident Joachim Rukwied. „Aber dieser Vorschlag ist der falsche Weg.“ Rukwied sprach von einem „Generalangriff auf die gesamte europäische Landwirtschaft“ und forderte mehr Kooperation statt neuer Auflagen. Der Bauernverband fürchtet sonst eine Abwanderung der Lebensmittelproduktion in Drittstaaten. Oder dass wegen der neuen Pflanzenschutzvorgaben Krankheiten etwa beim Getreideanbau nicht mehr bekämpft werden könnten.

Klar ist: Sollten die Visionen der Kommission tatsächlich umgesetzt werden, wären auch die Landwirte in Bayern davon betroffen. Zum Beispiel Michael Häsch aus Dietramszell (Kreis Bad Tölz-Wolfratshausen) mit seinem Legehennenbetrieb. Er hält etwa eine generelle Halbierung des Antibiotika-Einsatzes für den falschen Weg. „Gerade in Bayern sind wir sehr dahinter, dass Antibiotika nur dann eingesetzt werden, wenn auch wirklich Bedarf da ist. Und das wird auch streng überwacht.“ In seinem Betrieb sei es viele Jahre her, dass ein Antibiotika-Einsatz nötig gewesen sei. Eine Obergrenze für den Antibiotika-Einsatz funktioniere aber nur auf Kosten des Tierschutzes. „Die Folge wird sein, dass Tiere verenden oder nicht geheilt werden“, fürchtet Häsch. Über die neuen Ziele aus Brüssel sagt er: „Leider ist es wie so oft in letzter Zeit, wir rutschen von einem Extrem ins andere. Aber eigentlich bräuchten wir vernünftige Mittelwege.“

Cordula Rutz, Geschäftsführerin bei der Landesvereinigung für den ökologischen Landbau in Bayern, hält die Ziele der EU-Kommission dagegen für richtig und angemessen. „Ein weiter wie bisher geht angesichts der Klimakrise einfach nicht.“ Dass die Politik Landwirtschaft und Ernährung endlich gemeinsam denke, sei der richtige Ansatz. Nur: „Das Formulieren einer Vision ist das eine“, sagt Rutz. „Die Mühen fangen jetzt aber erst so richtig an.“

Denn was von den Plänen am Ende wirklich umgesetzt wird, ist offen. Erst müssen alle Forderungen mit dem EU-Parlament und allen Mitgliedsstaaten abgestimmt werden. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) reagierte zurückhaltend auf die Brüsseler Pläne. Die theoretischen Anforderungen müssten in Einklang gebracht werden mit dem Arbeitsalltag auf den Höfen. Die Verantwortung für das Erreichen ökologischer Ziele dürfe aber nicht allein bei einer Branche abgeladen werden. Uneingeschränkte Unterstützung hört sich anders an.

Und dann stellt sich die Frage der Finanzierung. Auf 20 Milliarden Euro beziffert die Kommission die nötigen Investitionen – pro Jahr. Wie viel Budget nach dem Austritt der Briten aus der EU und vor allem infolge der Corona-Krise überhaupt übrig bleibt für den „Green New Deal“, ist derzeit noch völlig unklar.

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