Das harte Leben der Stadttauben

von Redaktion

VON NINA PRAUN

München – Verena Kallweit blickt hoch auf die Heiliggeistkirche, die über und über mit Netzen verhängt ist. „Netze sind ja in Ordnung, wenn sie gut angebracht sind“, sagt die Münchnerin. Schlimmer seien „Spikes“; spitze Edelstahl-Stäbe, die kreuz und quer in die Höhe stehen und den Tauben das Herumsitzen vergällen sollen. Sie sind überall, auf den Standln des Viktualienmarkts, an Dächern, Fensterbänken und an jedem Markenschild der Geschäfte in der Kaufinger Straße. „Da fragt man sich schon, was schöner ist: Taubenkot oder diese Spikes“, sagt Verena Kallweit schmunzelnd. „Aber ich verstehe die Leute ja. Fängt einer damit an, muss der nächste nachziehen. „Aber“, sie schüttelt den Kopf, „sie lösen nicht das Problem: Die Tauben verschwinden dadurch nicht.“ Vor ihr in der Fußgängerzone huschen ein paar Tauben nervös hin und her. „Seit ich weiß, dass die Tauben nur nach Futter betteln, weil sie sonst verhungern, sehe ich sie mit anderen Augen.“

Eine Vogelfreundin war Kallweit eigentlich nie, Tierschützerin auch nicht. Doch vor etwa drei Jahren fiel der Eventmanagerin auf, wie Tauben behandelt werden: Viele Menschen verscheuchen sie, andere treten sogar nach ihnen, erzählt Kallweit. Sie recherchierte und fand die „Taubenhilfe München“, eine gemeinnützige Gruppe. Die 46-Jährige trat ihr bei und engagiert sich seitdem ehrenamtlich für die Stadttauben. „Sie sind nicht gefährlich“, betont sie. „Sie übertragen keine Krankheiten auf Menschen.“ Trotzdem hört Kallweit immer wieder verächtliche Sprüche über die „Ratten der Lüfte“. „Das ärgert mich so – was ist denn das für ein Umgang mit diesen Tieren?“

Dabei waren es einst die Menschen selbst, die die Tauben zu sich geholt haben: Vor Jahrhunderten wurden Felstauben domestiziert, man aß ihre Eier und ihr Fleisch; noch vor wenigen Jahrzehnten hatten auch in Bayern viele Höfe einen Taubenschlag. Später wurden Brieftauben ein beliebtes Hobby, dann die „Hochzeitstauben“. Übrig gebliebene Tiere landen in der Stadt, bei den Menschen, wo es Fressen gibt. Ein anderes Leben kennen diese Tiere nicht. „Das sind keine Wildvögel, das sind Streuner“, sagt Kallweit. „Ich finde, wir sind ihnen etwas schuldig.“

Doch helfen ist schwierig. In München gibt es seit 1996 ein Taubenfütterungsverbot. Nur in offiziellen Taubenhäusern dürfen sie gefüttert werden. Die Stadt zählt 18 Stück, zwei davon sind auf städtischem Grund, elf werden privat betreut, fünf werden von anderen Tierschutzvereinen versorgt. Doch aus Sicht der Tierschützer müsste es die betreuten Taubenschläge „flächendeckend“ geben, sagt Kallweit, nach dem Prinzip des „Augsburger Modells“.

In der Fugger-Stadt gibt es betreute Taubenschläge. Helfer bringen Futter und reinigen die Schläge; die Tiere sind von der Straße weg und der Kot somit auch. Außerdem findet dort eine Geburtenkontrolle statt, die Eier werden durch Attrappen ausgetauscht. 1997 wurde der erste eröffnet, derzeit gibt es in Augsburg zehn Taubenschläge und zwei Taubentürme. Die Stadt übernimmt die Kosten für den Bau und zahlt den Betreuern eine Art Aufwandsentschädigung. Es gilt als Erfolgsmodell, viele deutsche Städte haben es übernommen, darunter Frankfurt, Köln und Stuttgart. Noch weiter geht das „Regensburger Modell“: Dort werden Tauben per „Locktauben“ in die Taubenschläge gelockt, die von einer geschlossenen Voliere umgeben sind.

In der Münchner Innenstadt gibt es aber nur einen Taubenschlag, auf dem Dach des Hauptbahnhofs, ein schlichtes Holzhäuschen, das von der Taubenhilfe betreut wird. „Der ist völlig überfüllt“, berichtet Kallweit. Jeden Tag kommen rund 800 Tauben, gerade sitzen etwa 200 auf dem Dach gegenüber und warten respektvoll ab, während die Münchnerin drinnen Körner in die Futterkästen schüttet. Doch bald wird der Taubenschlag abgerissen, wegen der Bauarbeiten am Bahnhof. Und dann? Das Umweltreferat plant einen Ersatz auf dem eigenen Gebäude in der Bayerstraße wenige hundert Meter entfernt. Trotzdem bangt Kallweit um ihre Schützlinge: Wird der neue Platz rechtzeitig fertig sein? Und wird er groß genug? „Die hier hatten ja bisher Glück, die wissen ja gar nicht, wie das ist, wenn man täglich um das Futter betteln muss.“ Sie seufzt. Die Herrschaften auf dem Dach oben ahnen davon nichts.

Dachplatz gesucht

Die Taubenschutzhilfe München sucht nach Standorten für Taubenschläge, auf Dachterrassen oder in Dachgeschossen. Kontakt: taubenhilfe.muenchen@ gmx.de

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