Geschichten aus der Jachenau

von Redaktion

Reaktionen auf einen Artikel zum Kriegsende 1945

Manche Geschichten in der Zeitung lösen starke Emotionen aus, es kommen plötzlich Erinnerungen hoch und der Wunsch nach Ergänzungen oder Korrekturen. So erging es uns mit unserem Artikel „Tödlicher Ausflug an den Walchensee“, der zum 75. Jahrestags des Kriegsendes Anfang Mai erschienen war. Die Geschichte noch einmal ganz kurz zusammengefasst: Anfang Mai 1945 wurden in der Jachenau zwei Frauen, Elisabeth Schwink und ihre Tochter Ruth, durch junge SS-Männer erschossen, eine weitere, die damals 16-jährige Johanna Pfund, schwer verletzt. Bis heute ist nicht klar, warum.

Den Artikel hat auch Arnulf Lüers gelesen, er lebt im Chiemgau und hütet einen umfangreichen Nachlass seines Vaters Friedrich, der schon in den 1920er-Jahren ein begeisterter Fotograf war. Und siehe da: Unter den Fotos (Glasnegative) findet sich auch eins, das ein Ehepaar in Tracht zeigt und daneben noch eine Frau mit einem kleinen Buben. „Bei Familie Pfund in der Jachenau“ hat Friedrich Lüers das Foto betitelt. Sein Sohn Arnulf hat bei der heute 91 Jahre alten Johanna Heider (geb. Pfund) nachgefragt. Tatsächlich: Das Foto zeigt ihre Eltern, daneben den Halbbruder unseres Lesers Arnold Lüers, Dieter (leider schon verstorben), sowie die erste Frau seines Vaters. Verwickelte Familienverhältnisse. Wie kam es nun, dass Friedrich Lüers in der Jachenau offenbar mit der Familie Pfund bekannt war? „Mein Vater hatte in den 1920er-Jahren ein Motorrad mit Beiwagen, womit er Ausflüge und kurze Urlaubsfahrten ins Oberland und in die Jachenau unternommen hat“, schreibt Arnulf Lüers. Auch als Sprachforscher war er unterwegs, er sammelte alte Begriffe für die Wörterbuchkommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Nebenbei kundschaftete er Feriendomizile aus – und landete so bei der Familie Pfund.

Die Jachenau als Urlaubs-„Destination“, wie man heute Neudeutsch sagt – das führte wohl auch die Familie Schwink an diesen malerischen Ort. Aufgrund unseres Artikels meldete sich auch Barbara von Schau, sie lebt in Kulmbach und ist die Enkelin der damals erschossenen Elisabeth Schwink.

Zum Hintergrund dieser Morde kann sie Folgendes sagen: „Meine Großmutter war Jüdin, war aber bei ihrer Hochzeit zum evangelischen Glauben konvertiert und lebte seit einiger Zeit zu ihrem Schutz in der Jachenau.“ Wahrscheinlich kannte ihr Ehemann Dr. Otto Schwink die Jachenau, er war Direktor des Fremdenverkehrsverbandes München und Südbayern und hatte wohl früher dort Urlaub gemacht.

Zum Tod ihrer Großmutter berichtet Barbara von Schau: „Da sie die einzige Englisch sprechende Person war, bat man sie, die in Urfeld stationierten Amerikaner aufzusuchen und um Verschonung der Jachenau zu bitten.“ Das war ihr Vorhaben am 3. Mai 1945, nicht aber ein unbeschwerter, möglicherweise leichtsinniger „Ausflug“ an den nahen Walchensee. In Begleitung der beiden Jugendlichen – Ruth war mit Johanna befreundet und besuchte mit ihr die Schule, wobei sie in ein aus Gelsenkirchen evakuiertes Gymnasium quasi integriert wurden – machte sie sich auf den Weg. Auf dem Heimweg wurden sie und ihre Tochter dann von den Heckenschützen getötet, Johanna „Mausi“ Pfund schwer verletzt. Die Täter wurden nie ermittelt.

DIRK WALTER

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