München – Für gewöhnlich hat Claudia Brand im Mai alle Hände voll zu tun. Sie leitet den Verein der Rothenburger Gästeführer, das Städtchen mit dem mittelalterlichen Zentrum ist ein Touristenmagnet. Auch heuer war Brand den ganzen Mai über gut beschäftigt – allerdings ohne Gäste. Wochenlang versuchte sie herauszufinden, unter welchen Bedingungen Rundgänge in der Corona-Zeit wieder möglich sind. Sie fragte bei der Staatsregierung an, beim Landratsamt. „Noch zwei Tage vor dem Neustart war mir nicht klar, wie viele Personen wir künftig mitnehmen dürfen“, berichtet sie. „Nirgendwo stand etwas Fixes.“ Dann kam ihr die Idee, einfach bei der Polizei nachzufragen. „Ab wie vielen Personen bekomme ich eine Verwarnung?“, wollte sie wissen. Zehn Personen oder zwei Haushalte dürfe sie mitnehmen, sagten ihr die Beamten. Doch weder Claudia Brand noch die Polizisten wussten, wie genau das auszulegen ist. Gilt die Stadtführerin schon als ein Haushalt? Was ist, wenn ein Haushalt aus mehr als zehn Personen besteht?
Fragen wie diese stellen sich in Bayern gerade die meisten Gästeführer. Seit Samstag sind Führungen wieder erlaubt. Die Freude darüber ist groß – die Unsicherheit aber auch. Der Verband der Gästeführer Deutschland (BVGD) hat ein Rundschreiben herausgegeben, aber es enthält vor allem allgemeine Regeln. Kein Wunder. Schließlich gelten von Bundesland zu Bundesland verschiedene Bestimmungen. Am Freitag, also nur einen Tag vorher, wurde ein Hygienekonzept herausgegeben. Zur Teilnehmerzahl steht darin allerdings nichts.
Claudia Brand hat aus Verzweiflung schließlich bei der Corona-Hotline des Innenministeriums angerufen. „Der Herr am Apparat war sehr bemüht“, rekapituliert sie. „Er riet mir schließlich, es wie im Biergarten zu regeln. Dort gelte der Kellner ja auch nicht als Gast.“ Deshalb galt im mittelfränkischen Rothenburg am Wochenende: Zehn Menschen dürfen mit, egal aus wie vielen Haushalten. Damit dennoch viele Gäste in den Genuss der Rundgänge kamen, fanden täglich vier statt wie sonst zwei Touren statt. Das Konzept kam an. „Rothenburg war gut besucht“, resümiert Claudia Brand. „So gut, dass wir trotz einer größeren Anzahl von Führungen leider nicht alle Gäste mitnehmen konnten.“ Hinsichtlich der Gruppenstärke will Rothenburg fortan flexibel reagieren und bei Bedarf bis zu 15 Personen mitnehmen. Auf eines ist Brand besonders stolz: „Das mit den Abstandsregeln hat am Wochenende super geklappt.“
Im oberfränkischen Bamberg galt am Wochenende bereits ein Maximum von 15 Personen. Im oberpfälzischen Regensburg stand ebenfalls die Zahl 15 im Raum. „Wir orientieren uns daran, was im Museum gilt“, erklärt Irene Lautenschlager von der Stadtmaus, einem Touranbieter. Der Hintergrund: Seit Sommer 2019, kurz nach Eröffnung des Museums der Bayerischen Geschichte, führt die Stadtmaus durch das Haus. Als das Museum im Mai wieder öffnen durfte, streamte Irene Lautenschlager mehrfach von ihrem Handy aus live auf Facebook aus der Sammlung, immer kurz vor oder nach der Abendschließung. So blieb die Stadtmaus während der führungsfreien Zeit medial präsent. Die Rundgänge durch die Ausstellungsräume durften mit Beginn der Pfingstferien wieder starten, aber eben mit einer reduzierten Teilnehmerzahl von 15 Personen. Im Gebäude gilt Maskenpflicht für alle. Bei Touren auf der Straße, meint Lautenschlager, wäre es durchaus sinnvoll, wenn der Guide in manchen Momenten eine Maske trüge. „Im Museum haben wir Kopfhörer, auf der Straße nicht. Der Stadtführer muss daher im Freien sehr laut reden und stößt viel Luft aus.“
Auch wenn die Maximalzahlen in verschiedenen Städten und Regionen Bayerns zunächst anders interpretiert wurden, gilt überall der Mindestabstand. Der BVGD gibt vor: „Gäste, die zu verschiedenen Hausständen gehören, halten Abstand von 1,5 Meter. Der Abstand von Gästeführer/in zur Gruppe sollte eher zwei Meter betragen (wegen des Sprechens).“ Bargeld sei zu vermeiden, die Kontaktdaten der Gäste zu notieren.
Den Richtlinienkatalog des BVGD hat auch Matthias Koopmann studiert. Seine Firma Stadtfuchs bietet in Passau Führungen im Stil eines interaktiven Improvisationstheaters an. Er nimmt zwischen zehn und 15 Gäste mit. „Die Vorgaben der Regierung sind leider ein bisschen Dilettantenstadl.“ Während der Schließung erhielt er Hilfe von treuen Kunden, die jede Menge Gutscheine orderten. Dennoch ist Koopmann aus ökonomischer Sicht skeptisch: „Wir haben bereits jetzt einen Einnahmenverlust von 35 000 Euro. Das holen wir im Restjahr nicht angehend wieder rein.“ Ähnlich wie ihm geht es vielen Tourguides und Anbietern. Nicht alle Firmen haben Soforthilfe erhalten. Der Stadtfuchs etwa erhielt nach einem Monat eine Absage. „Das war ein Formblatt, sehr allgemein formuliert, keine Ahnung, warum es abgelehnt wurde“, erzählt Koopmann. Doch so leicht gibt er nicht auf. Nun hat er einen zweiten Antrag ausgefüllt – und hofft auf Erfolg.