München – Wochen der Ungewissheit liegen hinter uns. Bis vor wenigen Tagen war unklar, ob Österreich Italienurlauber im Transit passieren lässt. Österreich und Italien buhlen nach drei Monaten Corona-Beschränkungen um die Touristen. Der Tourismus ist in beiden Ländern ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Über die Hälfte aller Übernachtungen sowohl in Österreich als auch in Südtirol gehen auf das Konto deutscher Urlauber.
Wir haben uns zu Hause in München für den Grenzübertritt vorbereitet – so aufwendig, als würden wir nach Asien oder Lateinamerika reisen: Neben dem italienischen Pass meines Mannes Florian liegen kopierte Pässe der Schwiegereltern und eine Eigenerklärng über Besitz in Italien im Auto griffbereit. Bis Mitte Juni müssen Italienreisende eine Buchungsbestätigung oder wie wir ein Dokument vorlegen, das dies bestätigt. So die offizielle Version. Schon etliche Kilometer vor der deutsch-österreichischen Grenze beginnt der Lkw-Stau. Autos müssen links vorbei fahren. Bei uns herrscht nervöse Stimmung – zu groß ist die Vorfreude bei den Kindern, Familie und Freunde nach Monaten wieder sehen zu können. Zuletzt waren wir zu Fasching hier, wenige Tage bevor das Robert-Koch-Institut die Gegend zum Risikogebiet deklariert. Jetzt herrscht die bange Frage: Wird alles klappen?
Wir nähern uns im Schritttempo der Grenze. Dann ist es soweit: „Italien? Geradeaus!“ schallt uns das Kommando entgegen. Wir bekommen vier „Entry and Transit Declaration“-Dokumente durch das Seitenfenster gereicht. Kurz tritt Hektik ein. Wir haben keine Stifte griffbereit. In Zeiten von Corona fragt man den Grenzer auch nicht nach einem Stift.
Wir rollen weiter. Als wir beim zweiten Zollbeamten ankommen, haben wir es gerade mal geschafft, eine Erklärung auszufüllen – reicht, obwohl wir zu viert im Auto sind. Wir fahren los: Pässe oder sonstige Erklärungen wollte bis dato keiner von uns sehen. Auch, ob der Tank voll ist, hat keiner geprüft. Nicht einmal zehn Minuten hat das Passieren der Grenze in Anspruch genommen. Wir sind erleichtert, die erste Hürde ist genommen.
Italien liegt jetzt nur noch rund 100 Kilometer vor uns. Auf der Inntalautobahn dann Hinweistafeln – „Halten Sie Abstand – bleiben Sie gesund“ steht dort groß geschrieben. Zumindest Letzteres hat die Autobahnmeisterei den Reisenden vor Corona nicht mit auf den Weg gegeben. Eineinhalb Stunden später, am Brenner, verläuft der Grenzübertritt völlig unspektakulär. Nicht einmal ein Zöllner steht noch am Fahrbahnrand. Alles wie früher. Am Tag 1 der Grenzöffnung haben in den ersten vier Stunden seit Mitternacht rund 200 Autos die Grenze nach Italien passiert. Den ganzen Tag über herrscht ruhiger Reiseverkehr, nur ganz vereinzelt sind Autos mit deutschem Kennzeichen auf der Autobahn zu sehen. Nicht zu vergleichen mit dem sonstigen Reiseverkehr zu Pfingsten, in dem gefühlt ganz Süddeutschland auf dem Weg nach Süden unterwegs ist.
Der gestrige 3. Juni ist auch für die Italiener selbst von Bedeutung. Denn auch sie dürfen wieder über die Grenzen ihrer Region reisen. Bisher war das nur in Ausnahmefällen und mit Eigenerklärung erlaubt. Italien hatte mit einem besonders harten Lockdown reagiert. Der ist inzwischen in weiten Teilen aufgehoben: Kontaktbeschränkungen und strenge Hygienemaßnahmen gelten aber auch künftig. In Südtirol sind sie strenger als anderswo: Hier sind beispielsweise zwei statt der in Italien sonst üblichen ein Meter Abstand üblich.
Während wir auf dem Weg nach Süden sind, hat Außenminister Heiko Maas das Ende der Reisewarnungen für 29 Staaten für Mitte Juni angekündigt, Österreich selbst öffnet einen Tag später die Grenzen zu sieben Nachbarländern – nicht aber zu Italien. Egal, zu groß ist die Freude über das Wiedersehen mit der italienischen Familie.