Großes Ermittler-Team für Doping-Skandal

von Redaktion

VON ANGELA WALSER

Irschenberg/München – Das Bild bleibt vielen unvergessen. Ein junger Mann kauert auf einem Sofa. In seinem Arm steckt eine Nadel, daneben liegt ein Beutel mit Blut. Es ist der Moment im Februar 2019, in dem der österreichische Langläufer Max H. (27) beim Eigenblut-Doping erwischt wird. Es läuft die Nordische Ski-WM in Seefeld in Tirol. Fast zeitgleich wird in Erfurt der 42-jährige Mark S. verhaftet. Der Mediziner und seine Helfer sollen mehrfach Sportlern Blut entnommen und es ihnen wieder zugeführt haben, um sie schneller und ausdauernder zu machen.

Gedopt wurde in Hotelzimmern, auf Parkplätzen und Raststätten – unter anderem am Irschenberg (Kreis Miesbach). Deshalb ist das Landgericht München II zuständig. Die Ermittlungsarbeit leisteten allerdings die Kollegen der Staatsanwaltschaft München I. Hier ist seit März 2009 die Schwerpunkt-Abteilung angesiedelt, die in ganz Bayern für alle Ermittlungsverfahren zuständig ist, die einen Zusammenhang mit Doping im Sport aufweisen.

Chef ist Oberstaatsanwalt Kai Gräber. In seiner Abteilung arbeiten momentan acht Staatsanwältinnen – alle entscheidungsfreudige Frauen, die gründlich ermitteln und die Bandbreite aller zur Verfügung stehenden Maßnahmen schätzen, zum Beispiel rasche Einsätze bei verdeckten Ermittlungen. „Die Gesetzeslage ist manchmal nicht ganz einfach und ein echtes Spezialgebiet“, begründet Anne Leiding, Sprecherin der Staatsanwaltschaft, den Umstand, dass sich acht Frauen mit dem Thema Doping beschäftigen. Sachverständige vermitteln den Staatsanwältinnen die pharmazeutischen, medizinischen und chemischen Kenntnisse und informieren sie über die Wirkung der Mittel und natürlich die Phasen der Nachweisbarkeit im Blut.

Im aktuellen Verfahren mussten sie sich auch mit einem neuartigen Präparat auseinandersetzen: getrocknete rote Blutkörperchen. Die soll Mark S. laut Anklage an einer Athletin getestet haben. Der Frau soll es danach nicht gut gegangen sein.

Den Stein ins Rollen gebracht hatte der österreichische Skilangläufer Johannes Dürr, der im Januar 2019 im Fernsehen über Eigenblutdoping berichtete. Noch am Tag der Ausstrahlung leitete Oberstaatsanwalt Kai Gräber ein Ermittlungsverfahren ein. Dürr brachte bei seiner Vernehmung Mark S. ins Spiel.

Nicht immer beschäftigt sich die Spezialabteilung mit so spannenden Aktionen. Oft geht es um Doping im Amateurbereich, um Labore im Untergrund, um Abgabe von Wachstumshormonen in Sportstudios. Im Amateurbereich, erklärt Oberstaatsanwältin Anne Leiding, können die Fälle aus einer Vielzahl verschiedener Möglichkeiten gewonnen werden: Zufallskontrollen auf der Autobahn, Durchsuchungen in anderer Sache, bei denen Dopingmittel oder Kundenlisten gefunden werden, Erkenntnisse aus Verfahren gegen Abnehmer oder Lieferanten. In der Vergangenheit wurden etwa 700 bis 1500 Verfahren pro Jahr mit Doping-Bezug registriert.

Im Leistungssport gibt es hingegen nur zwei Möglichkeiten, um an Dopingsünder zu gelangen: Durch eine Anzeige der Nationalen Anti-Doping Agentur nach einem positiven Dopingfall, die bei der bayerischen Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft landet. „Das sind etwa zehn bis 15 Fälle pro Jahr“, sagt Leiding. Oder durch Hinweise aus der Sport-Szene. „Aber das kommt leider so gut wie nie vor.“ Leiding vermutet, weil es noch keine Kronzeugen-Regelung gibt.

Hinzu kommt, dass es das Anti-Doping-Gesetz (ADG) erst seit Dezember 2015 gibt. Seitdem erst ist die Strafbarkeit des Eigenblut-Dopings als verbotene Methode gesetzlich geregelt. Vorher war die Strafbarkeit dieser Methode strittig, eine höchstrichterliche Entscheidung fehlte. Das ADG brachte auch die höhere Einstufung derartiger Taten im Bereich des gewerbs- und bandenmäßigen Handeltreibens mit sich. Auch die Abgabe an Minderjährige kann nun besonders hart bestraft werden. Durch die Erhöhung der Strafrahmen wurden zudem die Verjährungsfristen ausgedehnt, was eine längere Strafverfolgung erleichtert.

Die Ermittlungen in der Doping-Szene sind für das Team um Kai Gräber mit vielen Zusatzarbeiten verbunden. Aus vielen Verfahren ergeben sich Ansätze für weitere Ermittlungen. „Wird bei einem Händler durchsucht, werden über dort gefundene Kundenlisten potenzielle Abnehmer bekannt, bei denen wieder durchsucht wird und so weiter“, erklärt Leiding.

Und im Fall der Rastplatz-Doper vom Irschenberg? Da habe die internationale Zusammenarbeit gut funktioniert, sagt sie. Ohne die österreichischen Ermittler wäre die sogenannte Operation Aderlass nie so erfolgreich gewesen.

Wenn im September verhandelt wird, stellt die Münchner Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft I nicht nur einen Sitzungs-Vertreter ans Landgericht II, sondern ermittelt längst wieder in anderen Fällen wie bei Rezeptfälschungen oder dem betrügerischen Erlangen von Arzneimitteln in Apotheken, aber auch dem Missbrauch von Dopingpräparaten im Breitensport. „Ermittelt wird zwar überwiegend gegen Sportler, aber auch gegen deren Unterstützer und Betreuer, gegen Ärzte und Apotheken, gegen Lieferanten und Betreiber von Untergrundlaboren“, sagt Leiding. Wie – das lässt sie natürlich offen. Und das wird auch im Prozess nicht öffentlich werden.

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