Der Autor Rolf-Bernhard Essig lebt in Bamberg und schreibt für Kinder und Erwachsene Sachbücher, Erzählungen, Radio- und Zeitungskolumnen. Er spricht Hörbücher ein, kuratiert Ausstellungen und bildet mit Franz Tröger das Sprach-Musik-Duo „Die Streifenhörnchen“.
Herr Essig: Wie kommt man auf die Idee, ein Buch über Redensarten herauszugeben?
Es ist jetzt schon das Dutzend voll, und immer noch – wie seit Kindertagen – macht mir das Thema einen Haufen Spaß. Mein Vater war Seemann, meine Mutter Lehrerin, ich ein naseweiser Neunmalklug, und wenn dann noch Studien in Geschichte und Germanistik dazukommen und viele internationale Freunde, stößt man unwillkürlich auf das Thema und will andere an dem Vergnügen teilhaben lassen.
Und wie kommen Sie zu all ihren Erklärungen? Wie recherchiert man das?
Einerseits gibt es Sprichwortforschung seit Erasmus von Rotterdam, also über 500 Jahre, sodass man in ausgezeichneten Werken nachschlagen kann, andererseits muss man sich in sehr vielen Gebieten dazu auskennen, Fachleute befragen und nicht zuletzt dem Volk aufs Maul schauen, um am Puls der Zeit zu bleiben und brandneue Sprüche erklären zu können.
Was ist Ihre Lieblingsredensart und warum?
„Jetzt aber mal Butter bei die Fische!“ Ich hab sogar ein Buch danach benannt über Meerredensarten – schließlich bin ich gebürtiger Hamburger und auch sehr dafür, etwas auf den Punkt zu bringen, wesentlich zu werden.
Welche Funktion haben Redensarten in unserer Sprache und für unser Zusammenleben?
Zum Beispiel dienen sie als ein unauffälliges Erkennungszeichen und Bindeglied. Wer die Redensarten korrekt und regelmäßig verwendet, der gehört zu einer Sprechergemeinschaft dazu. Sie lockern die Rede auf, sie dienen als eine Art von Abkürzung, um etwas schnell klarzumachen, sie können trösten oder erheitern, sie machen die Sprache anschaulich und, und, und …
Redensarten gibt es ja auf der ganzen Welt. Aber die meisten aus dem Ausland werden wir wohl nicht verstehen, oder?
Das stimmt so einfach nicht, denn es gibt viele, die sich der Bibel, den antiken Sagen, der abendländischen Literatur, aber auch der neuen Technik etc. verdanken, weshalb extrem viele Sprachen Redensarten wie „das ist seine Achillesferse“ kennen. Gleichwohl besitzt jede Sprache ganz eigene Ausdrücke, die mit der dortigen Fauna, Flora, Kultur und Geschichte zu tun haben. Oft stecken Geschichten dahinter, die man kennen muss, um den Ausdruck zu verstehen. „Jemanden schlagen wie die Schweden bei Poltawa“ verstehen die meisten Ukrainer und Russen. Sie wissen, dass Karl XII. in der Schlacht dort geschlagen wurde – und wie!
Sind Redensarten also ein Spiegel des jeweiligen Kulturraums?
Ja, durchaus, wobei die modernen Medien zu einer Vermischung der Kulturen und Redensarten führen. Man kann aus ihnen sehr viel lernen, braucht dafür aber sehr viel Zeit, gibt es doch in den meisten Sprachen Hunderttausende! Im Deutschen sind es wohl gut 300 000. Und viele Redensarten oder Sprichwörter existieren – wie bei uns – in Gegensatzpaaren. Man muss wissen, wann zutrifft „Gegensätze ziehen sich an“ und wann „Gleich und gleich gesellt sich gern“.
Entstehen heute noch Redensarten, zum Beispiel in der Jugendsprache?
Jeden Tag entstehen neue, ob in den Medien, in der Politik, in der Literatur, im Film, am Stammtisch oder im Krankenhaus. Ob sie sich verbreiten, das ist eine andere Frage. Mir gefallen Ausdrücke wie „Niveau Limbo“ für sehr schlechte Leistungen, „Ich hab kein Foto für dich“ als Ablehnungsspruch oder „Bruder, muss los!“ für peinliche Situationen.
Vermutlich sterben Redensarten auch aus…
Ja, leider. Ich verwende manchmal noch altertümliche wie „Sie sammeln glühende Kohlen auf mein Haupt“, aber diese Form der übertriebenen Dankbarkeit versteht niemand mehr. Für ein Tête-à-Tête sagte man früher auch „in die Haselnüsse gehen“. „Einen Bären anbinden“ hieß im 17. Jahrhundert „Schulden machen“.
Sind Redensarten etwas Allgemeinverständliches oder kann es auch schnell zu Missverständnissen kommen?
Oft versteht man sie sofort, aber wenn man nicht genau hinhört oder sich die Zunge verknotet, dann kommt schnell Missverständliches heraus. Unsere spanische Freundin Marta sagte manchmal „Das Leben ist kein Kinderschlecken“. Überempfindliche hören da Pädophilie heraus, dabei hat sie nur was verwechselt. „Ich habe fertig!“ ist in der Regel sehr lustig gemeint, aber wer Trapattonis Interview nicht kennt, ist vielleicht beleidigt, weil er denkt, man sei fertig mit ihm.
Zum Abschluss bitte ein Satz aus Redewendungen.
„Mein Name ist Hase!“, sagte der ausgefuchste Fuchs, als er die Faxen dick hatte, und machte sich dünne aus dem Staub.
Interview: Wolfgang Hauskrecht