„Die Bevölkerung will keine Agrarindustrie“

von Redaktion

VON DOMINIK GÖTTLER

München – Die Ziele, die die EU-Kommission für die Landwirtschaft der Zukunft formuliert hat, sind ambitioniert: 50 Prozent weniger Pestizid- und Antibiotikaeinsatz. EU-weit soll deutlich weniger Dünger ausgebracht werden. Und der Öko-Landbau soll über den Kontinent bis zum Jahr 2030 einen Anteil von 25 Prozent erreichen. Während Naturschützer die Agrarstrategie als Teil des „Green Deal“ positiv bewerteten, war der Aufschrei in der Agrarbranche groß. Bauernpräsident Joachim Rukwied sprach gar von einem „Generalangriff auf die europäische Landwirtschaft“.

Bayerns Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU) sieht dagegen viel Positives in dem neuen Kurs der Kommission. Die Ziele seien ehrgeizig, aber nicht überzogen, sagt sie im Gespräch mit unserer Zeitung. „Die Politik muss genau darauf hören was sich die Gesellschaft wünscht und sie muss darauf achten, was unserer Umwelt gut tut. Uns ist aber elementar wichtig, dass dabei jeder landwirtschaftliche Betrieb mithalten kann.“

Die größten Bedenken bei den Brüsseler Plänen (denen EU-Parlament und Mitgliedsländer erst noch zustimmen müssen) hat Kaniber beim Ökolandbau. 25 Prozent bis 2030 – das liegt unter dem 30 Prozent-Ziel Bayerns aus dem Volksbegehren. „In Deutschland halte ich das auch für machbar, weil wir viel höhere Durchschnittslöhne haben als in weiten Teilen Europas.“ Aber andere Länder hätten mit ganz anderen Herausforderungen zu kämpfen – verstärkt durch die Corona-Krise. Da stünden Umweltprobleme oft nicht an erster Stelle. Die EU müsse aber auch dort Verbraucher und Gastronomie für mehr Bio-Produkte sensibilisieren. Sonst werden die Preise für Bio-Produkte auch bei Bayerns Bauern einbrechen, fürchtet Kaniber. „Wir haben nichts davon, wenn wir den Öko-Anbau vorangetrieben haben, aber unsere Bauern gleichzeitig in den Ruin.“ Zudem müsse die EU-Kommission dafür sorgen, dass die hohen Produktionsstandards in Europa nicht durch Importe aus Drittländern unterlaufen werden.

Lenken kann Brüssel den Kurs in der Landwirtschaft über die Agrarzahlungen, die auf die Bauern in ganz Europa verteilt werden – aktuell fließen mehr als sechs Milliarden Euro pro Jahr nach Deutschland. Doch um die Frage, wie dieses Geld gerecht verteilt werden soll, gibt es seit Jahrzehnten Streit. Am Freitag hatte der EU-Rechnungshof das bisherige Fördersystem gerügt, weil die Agrarhilfen aus Sicht der Rechnungsprüfer kaum dazu beitragen, den Artenschwund zu stoppen.

Auch Professor Alois Heißenhuber, Agrarökonom und ehemaliger Lehrstuhlinhaber am Wissenschaftszentrum Weihenstephan der TU München, sieht die aktuelle Förderpraxis, bei der viel Geld als reine Flächenprämie ausgezahlt wird, kritisch. „Die Menschen können nicht nachvollziehen, dass so viel öffentliches Geld etwa in die Bewirtschaftung von zum Teil ausgeräumten Flächen fließt.“ Zwar sei an dem Fördersystem immer wieder nachjustiert worden. „Aber das ist wie bei einem alten Auto. Irgendwann lohnen sich die Reparaturen nicht mehr. Und man muss in ein neues Modell investieren.“

Heißenhuber plädiert für die Leitlinie: Öffentliche Gelder für öffentliche Leistungen. „Sonst wird die Bevölkerung das System nicht mittragen.“ Nun müsse Brüssel einen Weg finden, um die neuen Ziele finanziell zu unterfüttern, etwa indem tierwohlgerechte Stallumbauten staatlich unterstützt werden.

Öffentliches Geld für öffentliche Leistungen – für diese Maxime werben auch die grünen Agrarminister der deutschen Bundesländer. Nicht unbedingt zur Freude Bayerns. Denn Ministerin Kaniber hält das für den falschen Weg. „Die Grünen meinen mit öffentlichen Leistungen ausschließlich Umwelt-, Natur- und Tierwohlleistungen. Aber sie unterschlagen dabei die anderen Leistungen der Landwirtschaft.“ Landschaftspflege, regionale Wertschöpfung, Ernährungssouveränität – diese Aspekte werden laut Kaniber gerne vergessen.

Eine Reform der Flächenprämie hält sie dennoch für angebracht. „Wir hören genau hin, was die Bevölkerung wünscht. Sie will keine Agrarindustrie, sondern eine kleinbäuerliche Struktur.“ Deshalb müssten kleinere Betriebe mehr Förderung abbekommen. Möglich machen würde das etwa eine Obergrenze bei den Flächenzahlungen. „Natürlich schreien die Bundesländer mit den großen Agrarbetrieben bei dieser Forderung nicht Hurra“, sagt Kaniber. „Aber wir werden da hartnäckig bleiben. Deutschland übernimmt jetzt die EU-Ratspräsidentschaft, da haben wir eine riesige Verantwortung, um etwas voranzubringen.“

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