München/Traunstein – Der Münchner Sozialpsychologe Heiner Keupp hat der Erzdiözese München und Freising vorgeworfen, in der Vergangenheit zu wenig zur Aufarbeitung von Missbrauch getan zu haben. Auch den im Februar erfolgten neuen Auftrag an die Münchner Rechtsanwaltskanzlei „Westpfahl, Spilker, Wastl“, der aufbauend auf den Bericht von 2010 ein erweitertes Gutachten über Fälle sexuellen Missbrauchs und körperlicher Gewalt im Erzbistum erstellen soll, sieht Keupp skeptisch, wie er auf Anfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) sagte. Ein Fortschritt wäre es nur, wenn alle Ergebnisse auf den Tisch gelegt würden.
Zugleich müssten diese dann auch durch eine unabhängige Aufarbeitungskommission im Sinne der Vereinbarungen von Deutscher Bischofskonferenz und des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung erfolgen. Zentral sei dabei die verbindliche Einbeziehung von Betroffenen.
Das Gutachten soll neben dem Zeitraum von 1945 bis 2010 auch die Jahre bis 2019 einschließen. Wie der Münchner Generalvikar Christoph Klingan ankündigte, gehe es vor allem darum, mittels Akten aufzuzeigen, „dass eventuell Versäumnisse von einzelnen Verantwortlichen auf der Hand liegen“. Das könnte alle Verantwortungsträger in diesem Zeitraum treffen –„ohne Unterschied“.
Hintergrund für Keupps Äußerungen ist ein Bericht der „Süddeutschen Zeitung“, in dem der 2018 gestorbene Münchner Weihbischof Engelbert Siebler beschuldigt wird, Schüler des Internats St. Michael in Traunstein misshandelt zu haben (wir berichteten). Ein Ex-Schüler werfe ihm auch sexuellen Missbrauch vor. Siebler war von 1976 bis 1985 Direktor des Studienseminars. In dieser Zeit sollen die Taten geschehen sein.
Das erzbischöfliche Ordinariat in München hatte dazu erklärt, dass der Ex-Schüler sich 2016 beim Missbrauchsbeauftragten der Erzdiözese gemeldet habe. Er habe damals von Misshandlungen berichtet, nicht von Missbrauch. Auch habe er schließlich den Kontakt mit dem Erzbistum abgebrochen und sich jede weitere Kontaktaufnahme verbeten. Wegen Ungereimtheiten bei den Vorwürfen war der Weihbischof mit den Anschuldigungen nicht konfrontiert worden.
Der Sozialpsychologe Keupp sagte der KNA, er habe Kontakt zu den Opfern gehabt. Vermeintliche Ungereimtheiten erklärte er damit, dass es sehr viel Vertrauensarbeit koste, bis jemand bereit sei, den schambesetzten Bereich zu thematisieren. „Es war leichter, erst einmal über die körperliche und psychische Gewalt zu sprechen.“ Gegenüber der „Süddeutschen“ hatte der Psychologe gesagt, er habe in den Berichten ehemaliger Seminaristen aus Traunstein ein ihm bekanntes Muster erkannt, das auch „schwarze Pädagogik“ genannt werde. Darunter werde eine Erziehung verstanden, die mit Gewalt, Einschüchterung und Erniedrigung arbeite. cm/kna