Pflegegutachten per Telefon

von Redaktion

VON CLAUDIA SCHURI

München – Es ist ein wichtiger Termin für Pflegebedürftige und deren Angehörige: Bei der Pflegebegutachtung entscheidet sich, welcher Pflegegrad festgelegt wird – und damit auch, welche Geld- und Sachleistungen dem Pflegebedürftigen von da an zustehen.

Normalerweise besucht dazu ein Mitarbeiter des Medizinische Diensts der Krankenversicherung in Bayern (MDK Bayern) den Pflegebedürftigen zu Hause, um sich persönlich einen Eindruck von dessen Zustand und dessen Wohnumfeld zu machen.

Doch wegen der Corona-Krise läuft dieser Termin momentan anders ab als sonst: „Wir verzichten derzeit auf Hausbesuche“, sagt Johanna Sell, stellvertretende Vorsitzende des MDK Bayern und Leiterin des Bereichs Pflege. Die Pflegebedürftigen seien großteils älter oder gehören einer Risikogruppe an. „Es ist hochriskant, wenn wir zu allen Pflegebedürftigen fahren würden. Das können wir ihnen nicht zumuten“, erklärt Sell. Noch bis Ende September gibt es deshalb Begutachtungen per Telefon. Seit Mitte März wurden in Bayern bereits 64 000 solcher Telefongutachten erstellt. „Die Mitarbeiter geben uns die Rückmeldung, dass sie sich bei ihren Einschätzungen sehr sicher fühlen“, sagt Sell. Lediglich bei psychisch Kranken und Kindern mit schweren Behinderungen sei es eine größere Herausforderung, den Pflegegrad per Telefon zu bestimmen. „Hier haben wir deshalb besonders dafür qualifizierte Mitarbeiter im Einsatz“, erklärt Sell.

Damit die Gutachter zum richtigen Ergebnis kommen, ist entscheidend, dass die Pflegebedürftigen und deren Angehörige einige Punkte beachten. „Das Wichtigste ist Offenheit und eine ehrliche, schonungslose Analyse der Situation“, sagt Sell. „Man muss sich die eigenen Probleme eingestehen.“ Immer wieder gebe es den Fall, dass sich Pflegebedürftige vor dem Gutachter gut darstellen wollen. „Bei den Hausbesuchen sind die Gutachter geschult, Beschönigungen zu identifizieren“, erklärt sie. „Das ist am Telefon schwieriger.“ Sie rät deshalb, dass bei dem Gespräch eine Bezugsperson oder ein gesetzlicher Betreuer dabei ist. „Der sollte auch den Mut aufbringen, zu beschreiben, wie es dem Pflegebedürftigen wirklich geht.“

Außerdem sei eine gute Vorbereitung auf das Gespräch wichtig. Vor dem Telefonat erhalten die Antragsteller vom MDK Bayern einen Selbstauskunftsbogen. Johanna Sell rät, sich damit intensiv zu beschäftigen. Abgefragt wird zum Beispiel, welche konkreten Alltagsaufgaben der Pflegebedürftige noch alleine bewältigen kann und wo er Hilfe benötigt. Vom Toilettengang über das Waschen und die Ankleide bis hin zu den Alltagsaktivitäten reicht die Bandbreite. Die Telefoninterviews laufen strukturiert ab, damit alle Bereiche angesprochen werden. „Wenn man sich darauf gut vorbereitet, vergisst man nichts“, sagt Sell.

Nicht in Ordnung sei jedoch, wenn Antragssteller versuchen, durch Tricks mehr Leistungen zu bekommen, als dem Pflegebedürftigen eigentlich zustehen. „Wir wissen, dass es im Internet Angebote von Pflegeberatern gibt, die Informationen darüber anbieten, was wir angeblich hören wollen, um einen höhren Pflegegrad zu erhalten“, sagt Sell. „Aber unsere Mitarbeiter sind dafür geschult und achten im Gespräch darauf.“

Ist das Gespräch abgeschlossen und das Gutachten erstellt, kommt der Bescheid über den Pflegegrad. Wer damit nicht einverstanden ist, kann Einspruch einlegen. Prinzipiell seien die Erfahrungen mit den Telefonbegutachtungen jedoch positiv, erklärt Johanna Sell: „Es läuft gut“, sagt sie. Auch die Antragssteller würden die Regel begrüßen: „Es gibt nur vereinzelte Anfragen mit dem ausdrücklichen Wunsch nach einem Hausbesuch.“

Der MDK Bayern könnte sich deshalb vorstellen, dass auch nach der Corona-Pandemie telefonische Begutachtungen möglich sind: „Das wäre zum Beispiel bei fortschreitenden Erkrankungen denkbar“, sagt Johanna Sell. „Es gibt bundesweite Richtlinien dazu, über die in Zukunft sicher diskutiert wird.“

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