München – Noch gut vier Wochen Schule. Normalerweise wäre jetzt das Schuljahr gelaufen, die Schüler wüssten, wer durchfliegt und wer nicht. In diesem Corona-Schuljahr aber ist alles anders: Seite Mitte März, als die Schulen über Monate schlossen, hat es keine Noten mehr gegeben. Auch jetzt, nach der Wiederöffnung der Schulen, gibt es abgesehen von vereinzelten mündlichen Leistungsnachweisen oder Referaten kaum Noten in der Schule – Klausuren oder Schulaufgaben finden nicht mehr statt.
In einem Schreiben an alle Schulen, das auch unserer Zeitung vorliegt, hat Kultusminister Michael Piazolo (FW) am Dienstag die Regelungen zum „Vorrücken auf Probe“ bekannt gegeben. Deutlich wird, dass die Schulleiter diesmal beide Augen zudrücken sollen. „Bei allen Schülerinnen und Schülern, für die ein Vorrücken nicht möglich ist, ist zwingend zu prüfen, ob ein Vorrücken auf Probe (…) in Betracht kommt“, heißt es in dem Schreiben. Vorrücken auf Probe heißt: Schüler dürfen zum nächsten Schuljahr in die nächste Jahrgangsstufe aufrücken – und sie müssen sich, da sie für die Corona-Krise ja nichts können, nicht einmal der sonst obligatorischen Nachprüfung unterziehen. Die entsprechende Formulierung im Schulgesetz ist denkbar dehnbar. Das Vorrücken ist demnach erlaubt, „wenn zu erwarten ist, dass die entstandenen Lücken geschlossen werden können“. Da ab September ein Förderangebot in den Hauptfächern angeboten werden soll, könnten so „Lücken im Leistungsstand“ geschlossen werden.
Piazolo beruft sich in seinem Schreiben auf Ministerpräsident Markus Söder (CSU), der mehrmals klargestellt hat, dass Schüler wegen der Corona-Krise keine Nachteile haben dürfen. Zwar berät eigentlich die Lehrerkonferenz über solche Wackel-Kandidaten. Doch ihre Entscheidungsfreiheit ist diesmal arg begrenzt. Die Schüler hätten seit März keine Chance mehr gehabt, schlechte Leistungen auszugleichen, gibt Piazolo zu bedenken. „Dadurch wird die Ermessensausübung in den meisten Fällen dahingehend gebunden sein, dass die Abwägung zu Gunsten eines Zulassens des Vorrückens auf Probe ausfällt.“
Der Schulleiter, der jetzt noch einen Schüler durchfallen lasse, sei mutig, kommentiert ein Schulexperte diesen Erlass. Schließlich droht Piazolo in dem Schreiben auch noch damit, dass die Schulaufsicht strittige Fälle überprüfen werde.
Tobias Schreiner, Schulleiter einer Realschule im Tegernseer Tal, findet die Entscheidung vertretbar. Normalerweise sei es so, dass Zwischenzeugnisse gerade in der Mittelstufe um einiges schlechter ausfielen als die Jahreszeugnisse. „Viele steuern dann nach, damit sie es grad so schaffen.“ Diese Chance gebe es ja diesmal nicht. Schreiner hat an seiner Schule mit den Eltern von Wackel-Kandidaten gesprochen: Einige Eltern, so berichtet er, werden wohl ungeachtet des kultusministeriellen Freibriefs einen Antrag auf freiwilliges Wiederholen für ihr Kind stellen – weil sie wissen, dass der Schüler im nächsten Schuljahr geringe Erfolgsaussichten haben werde.