München – Das Bild lässt einem das Blut in den Adern gefrieren: Der Schreibtisch ist ein Trümmerfeld. Durch die Decke des Büros des ADAC Südbayern an der Ridlerstraße 35 ragt der Arm einer 140 Tonnen schweren Pfahlbohrmaschine. Hätte die Mitarbeiterin des Beschwerdemanagements hier – wie regelmäßig vor Ausbruch der Conora-Epidemie – am Dienstagnachmittag gesessen, sie hätte das Unglück auf der benachbarten Baustelle des Immobilienentwicklers „ehret+klein“ womöglich nicht überlebt. So aber war sie im Homeoffice. Und wird die Bilder der Verwüstung nicht so schnell aus dem Kopf kriegen.
Ähnlich geht es Marion Stark (Name geändert), die zum Zeitpunkt des Unglücks im zweiten Stock, direkt oberhalb der „Einschlagstelle“ des Krans, am Fenster steht. Ihr stockt der Atem. Dann ruft sie ihren mit dem Rücken zum Fenster stehenden Kollegen noch zu: „Da kommt ein Kran auf uns zu!“ Sekunden später: Ohrenbetäubender Lärm, Staubwolken, Panik. Der Bohrkran ist in die vorgelagerten Büros im Erdgeschoss des ADAC-Gebäudes gekracht.
Am Tag danach herrscht in erster Linie Erleichterung. Stefan Dorner, Kommunikationsleiter des ADAC Südbayern, fasst zusammen: „Wir hatten mehrere Schutzengel!“ Alle fünf betroffenen Räume seien leer gewesen. Der Mitarbeiter, der im Büro neben dem vollkommen zerstörten arbeitet, hatte zehn Minuten vor dem Unglück Feierabend gemacht. „Wir sind heilfroh, dass weder bei uns noch bei der Baufirma bis auf den leicht verletzten Maschinenführer Schlimmeres passiert ist.“ Noch in der Nacht habe das THW die Tiefgarage abgestützt, sodass keine Einsturzgefahr mehr bestehe. Das aus der Baumaschine auslaufende Hydrauliköl wurde mit großen Wannen aufgefangen.
Während die Polizei am Mittwoch von einem Schaden von „mehreren hunderttausend Euro“ spricht, will Dorner noch keine Einschätzung abgeben. Das gehe erst, wenn Gutachter und Statiker ihre Arbeit abschließen. Das ist vermutlich frühestens am Freitag der Fall. Der Kran wird wohl erst Dienstag oder Mittwoch kommender Woche geborgen. Der Aufwand ist groß: Entweder ein Spezialgerät kann den Kran aufstellen oder, was wahrscheinlicher ist, die havarierte Maschine muss liegend in Einzelteile zerlegt werden.
Die große Frage ist nun: Wie konnte es zu dem Unfall auf der Baustelle an der Ridlerstraße 27 kommen, auf der bis 2022 der 14-stöckige Bürokomplex „Heimeran“ entstehen soll? Die Polizei gibt am Mittwoch erste Ermittlungsergebnisse heraus. Der 25 Meter hohe Bohrer sei beim Entleeren des Bohrkerns ins Kippen geraten. Weitere Ermittlungen seien aber noch nötig. Der 55-jährige Bohrkranführer liegt im Krankenhaus, hat aber keine schweren Verletzungen davongetragen.
Der Immobilienentwickler „ehret+klein“ teilt mit, in engem Kontakt mit der verantwortlichen Baufirma, PST Spezialtiefbau Süd GmbH, und Gutachern zu sein. „Diesen Unfall bedauern wir sehr“, sagt der geschäftsführende Gesellschafter Michael Ehret. „Wir sind aber auch sehr erleichtert, dass niemand ernsthaft verletzt wurde.“ Den Bau-Zeitplan werde „der „Zwischenfall nicht nennenswert beeinträchtigen“.
Beim ADAC bleibt der betroffene Bürotrakt gesperrt, die Mitarbeiter kommen anderswo im Haus unter oder arbeiten von daheim. Die Geschäftsstelle ist wieder offen. Um die Augenzeugen und die Betroffenen kümmere man sich, sagt Dorner. „Sie haben glücklicherweise nur einen großen Schreck zu verdauen.“ Die Regulierung des Schadens sei dann Aufgabe der Versicherung.