Bayerns erster Star-Schriftsteller

von Redaktion

Berge, Drama, Heimat-Kitsch: Vor 100 Jahren starb Ludwig Ganghofer – er war ein Bestsellerautor aus einer anderen Zeit

VON MARTIN UNTERRAINER

Ludwig Ganghofer ist ein Überzeugungsoptimist. Sogar seine Geburt in Kaufbeuren hat er noch in freudiger Erinnerung. „Ich kam am 7. Juli 1855 auf die Welt. Sie gefiel mir gleich. Und sehr.“ So schreibt er es später auf. Einer seiner Ahnen ist der Maurermeister Jörg Ganghofer, der die Frauenkirche errichtet hat. Obacht, Angeberwissen: Nach ihm, nicht nach Ludwig, ist die Ganghoferstraße in München benannt.

Ludwigs Vater steigt 1859 zum Revierförster in Welden bei Augsburg auf, wo er unter Ludwig Thomas Opa dient. Er ist ein unermüdlicher Forstmann, Redner und Verfasser von Fachartikeln. Später wird er zum höchsten bayerischen Forstbeamten ernannt. Die Mutter ist die ausgleichende und Liebe schenkende Person in der Familie, die neben Haushalt und Kindern für den Verkauf von Obst, Gemüse und Blumen zuständig ist.

Diese Ausgangslage ist prägend für Ganghofers Werk und seiner Vorstellungen einer intakten Familie. In seinen Büchern rauschen die Wildbäche, schneidige Jäger oder wahlweise berüchtigte Wilderer erlegen kapitale Hirsche. Die Berge sind hoch, die Zither erklingt und eine fesche Sennerin ist nie weit weg. Viele seiner Heimatromane werden später verfilmt. Viele sind fast schon geflügelte Worte. Der „Herrgottschnitzer von Ammergau“, das „Schweigen im Walde“, der „Edelweißkönig“.

Ganghofer schreibt aber nicht nur kitschig-schnulzige, sondern auch historisch gut recherchierte Romane. Die Natur nimmt dabei einen breiten Raum ein. Er hat das Bild des Freistaats – bemessen an den Auflagezahlen – geprägt wie nur wenige andere vor und nach ihm. Er liefert seinen Lesern offensichtlich zielgenau, was damals nachgefragt ist. Die Ideen für seine Figuren nimmt er oft aus dem echten Leben – Vorbilder sind Verwandte und Zeitgenossen.

Aber auch er selbst führt ein romanwürdiges Leben. Ganghofer ist als Bub ein richtiger Lauser, zahlreiche Streiche sind überliefert: splitternackte Ausflüge im Winter, nachdem er als Kleinkind der Mutter aus der Badewanne entwischt. Er soll einem Jagdgehilfen das Gewehr geklaut und geschossen haben. Fast hätte er jemand getroffen. Einmal will er bei Hochwasser sogar in der Donau hin- und herschwimmen. Soldaten der Militärschwimmschule müssen ihn retten.

Er hat viel Blödsinn im Kopf. „Will ich ehrlich sein, so muss ich selber sagen, dass ich ein schlechter Schüler war“, schreibt er über sich selbst. „Mancher meiner Lehrer hielt mich sogar für einen noch schlechteren.“ Und das kann man in seinen Zeugnissen nachlesen: Er sei ein trödelnder, geschwätziger und gleichgültiger Zögling, der aufgrund seiner Anlagen einer der Besten sein könnte.

Später, auf dem Gymnasium in Augsburg, wird er wegen eines unerlaubten Theaterbesuchs eines Stücks mit weitreichenden Einblicken in die weibliche Anatomie von der Schule verwiesen. In Regensburg absolviert er 1873 das Abitur. Zur Belohnung darf er mit Forstgehilfen seinen ersten Rehbock schießen. In Welden kann man heute noch auf den Spuren des berühmten Autors wandeln – und auf Ganghofer-Lauschtour gehen. Dazu muss man sich eine App runterladen und beim Gasthof „Zum Hirsch“ eine kleine Wanderung starten. Sobald man die Kopfhörer anlegt und sich auf den Weg macht, kann man an Stationen nachempfinden, wie Ganghofer die Golduhr seines Vaters vergraben und nie mehr gefunden hat. Wie er mit Tannenzapfen das Zielwerfen übte und wie er Eier klaute.

Ganghofer wird später der erste Popstar der bayerischen Literatur. Ein Bestsellerautor mit Millionen-Auflage. Eine Berühmtheit seiner Zeit. Aber der Weg dorthin ist weit. Ganghofer studiert Maschinenbau, später wechselt er zu Literaturgeschichte und Philosophie nach München. Er promoviert. Als Belohnung verschafft ihm der Vater eine Jagderlaubnis im Hochgebirge. Seine erste erlegte Gams trägt er geschultert durch München zu seiner Wohnung.

Mit dem „Herrgottschnitzer von Ammergau“, einem Theaterstück, gelingt ihm mit nur 24 der literarische Durchbruch. Trotzdem geht ihm das Geld aus. Heimat-Kenner Benno Eisenburg aus Gmund am Tegernsee sagt: „Ganghofer war in jungen Jahren ein Spieler, vielleicht könnte man ihn heute sogar als Zocker bezeichnen.“ Von durchzechten Nächten, von denen Ganghofer auch mit Spielschulden heimkommt, ist die Rede. Schon bald verkauft er die Rechte am „Herrgottschnitzer“.

Später entscheidet er sich, als freischaffender Journalist und Schriftsteller zu arbeiten. Der Vater erwirkt eine Jagderlaubnis in Ruhpolding für ihn. Ludwig ist von der Landschaft am Königsee begeistert und richtet für sich und seine Familie dort ein Domizil ein. Die Gegend ist prägend für viele seiner historischen Romane („Die Martinsklause“, „Der Ochsenkrieg“, „Der Klosterjäger“). Am Königssee kommt auch seine Tochter Martha zur Welt. Deren frühen Tod nach einer Gehirnhautentzündung verarbeitet er literarisch. In seinem Heimatroman „Klosterjäger“ stirbt ebenfalls ein Mädchen. Die Rechte an dem Werk kann er teuer verkaufen.

Hohe Honorare braucht Ganghofer zu dieser Zeit. Denn seit 1896 pachtet er eines der größten Jagdgebiete Tirols zwischen Leutasch und Ehrwald im Wettersteingebirge. Hier wird er die nächsten knapp zwanzig Jahre seines Lebens hauptsächlich verbringen. Seine Jagd umfasst 20 000 Hektar Fläche, zwei Jagdhäuser, zwölf Jagdhütten und acht Futterplätze. Das „Jagdhaus Hubertus“ beherbergt bis zu 35 Personen und wird zum Treffpunkt für Promis des deutschen und österreichischen Kulturlebens. Es gibt dort eine Kegelbahn, Tennisplätze, ein Hirschgehege und einen Alpengarten.

Zu den Gästen zählen: der Schriftsteller Hugo von Hofmannsthal, der Maler Hermann Defregger, der Hoffotograph Egon Hanfstaengel und der Schriftsteller Ludwig Thoma, mit dem Ganghofer eine herzliche Freundschaft pflegt. Einmal bewahrt Ganghofer Thoma sogar vor einem Duell, nachdem Thomas Frau möglicherweise einen Seitensprung begangen hat.

Zeitweise problematisch ist das Verhältnis zu den Einheimischen in Leutasch. Die Menschen leben in Armut und der Herr Schriftsteller veranstaltet ein paar Meter weiter ausschweifende Gelage. Die Auseinandersetzungen drehen sich oft um die Jagd und münden in einer Anti-Ganghofer-Demo mit 30 bis 40 Leutaschern. An der Spitze geht ein Esel mit Hirschgeweih voran.

Wichtige Werke wie das „Schweigen im Walde“ entstehen hier. Das Dorfleben sowie die bürgerlich-bäuerliche Welt stehen im Mittelpunkt seiner Romane. Immer wieder geht es um Liebe, Eifersucht, uneheliche Kinder, Verbrecher, Standeskonflikte, Hexenwahn, Feudalismus und Bauernkriege. Im Grunde geht es immer um alles.

Ganghofer feiert einen Auflagen-Hit nach dem anderen. Er ist erfolgsverwöhnt, aber zeitgenössische Intellektuelle überschütten ihn mit Häme. Rainer Maria Rilke widmete ihm deshalb ein Trostgedicht.

Dann bricht 1914 der Erste Weltkrieg aus. Ganghofer, der Lieblingsdichter von Kaiser Wilhelm II., ist begeistert. Er wird zum Kriegsberichterstatter ernannt und schreibt Heldenepen über den deutschen Soldaten. An der Front lernt er auch die Schattenseiten des Krieges kennen, Tod, Elend, Hunger. Sein Gesundheitszustand verschlechtert sich, eine Kriegsverletzung macht ihm zu schaffen. Sein „Jagdhaus Hubertus“ ist zu diesem Zeitpunkt längst verwaist und ausgeplündert.

Nach dem Krieg zieht er an die prächtige Villa Maria am Leeberg in Tegernsee. Er ist traurig und gebrochen. Am 17. Januar 1920 schreibt er an Ludwig Thoma: „Dir kann ich ja sagen, was ich vor den Meinen noch immer verschweige: Die Erregungen und Kränkungen der letzten Zeit haben mir einen so schweren Herzklapps verursacht, dass mir Einsamkeit und Ruhe das Allernötigste sind.“

Am 24. Juli 1920, heute vor 100 Jahren, stirbt er. Auf dem Friedhof St. Laurentius in Rottach-Egern ist sein Grab. Dort liegt er bei seinem Freund Thoma, der den Platz neben ihm reserviert hat und der ihm schon ein Jahr später nachfolgen sollte. Ganghofers letzte Worte sind auch überliefert. Sie lauten: „Ich bin so glücklich.“

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